Überall ist es besser als hier? Von Klaudia Brunst

„Man ahnt ja gar nicht, wie die Leute so wohnen!“ stöhnte meine Freundin, als wir uns wieder unten auf der Straße wiederfanden. Seit wir unseren geplanten Umzug mit allen Mitteln betreiben, werden wir nämlich tatsächlich zu Wohnungsbesichtigungen eingeladen. Immerhin ein Fortschritt, den wir allerdings nur um den Preis erzielen, nun die Abende damit zu verbringen, Kreuzberg flächendeckend mit kleinen Zettelchen zuzupflastern und dreimal die Woche das immer gleiche Formular für die Wohnungsannonce wieder neu auszufüllen (denn nur dann ist die Anzeige kostenlos, was mal wieder zeigt, wie sehr Armut und Freizeitüberschuß aneinandergekoppelt sind).

Kurz und gut: Wir lernen jetzt etliche Wohnungen von innen kennen, besonders solche, in die man auf gar keinen Fall einziehen möchte. Zum Beispiel neulich. Das Angebot klang gar nicht mal übel: 140 qm für 1.400 warm, in guter Lage, sofort bezugsfertig, mit etlichen Einbauten, für die (einen Haken gibts immer!) ein Abstand von 23.000 Mark zur Verhandlung standen. Wir haben dann aber doch Abstand von dem Angebot genommen. Wie sich herausstellte, hatte der Mieter offensichtlich mehr Kinder als Zimmer, dafür aber einen Hang zu grobschlächtig hölzernen Zwischendecken. „Und für diese Legebatterie will der auch noch Schotter!“ hatte meine Freundin mir zugezischt, bevor wir artig für das Angebot dankten und den Rückwärtsgang einlegten.

„Immerhin weiß man, warum die ausziehen“, versuchte ich die Laune meiner Freundin wieder aufzubessern, denn noch deprimierender als die Besichtigung dunkler Rattenlöcher ist es, wenn man in einer gut geschnittenen Dreizimmrigen steht, an der eigentlich gar nichts auszusetzen ist, und dann die Leute fragt, weswegen sie ihr Schmuckstück denn nun kündigen wollen. „Wir haben uns getrennt“, kommt dann immer tonlos zurück, „wissen Sie etwas von zwei kleinen Wohnungen?“

„Irgendwie macht mir das Angst“, meinte meine Freundin deshalb gestern und stellte damit plötzlich unsere ganze Wohnungssuche in Frage. „Ich meine, wir suchen doch eine größere, hellere, schönere Wohnung, weil wir uns davor fürchten, daß unsere Beziehung von unserer kleinen, dunklen Bleibe langfristig bedroht ist“, grübelte sie, „aber offensichtlich führen ja viel eher die schönen Wohnungen dazu, daß man sich trennt, und nicht etwa die teuren, lauten oder dunklen.“ Sie jedenfalls habe beschlossen, den Grund für den Wohnungswechsel nun gleich am Telefon zu erfragen und zu Scheidungsterminen gar nicht erst hinzugehen.

Mein Einwand, daß wir dann letztlich nur noch finden können, was wir ja selbst längst haben, wischte sie rundheraus vom Tisch: „Ich sage dir, Wohnungen haben ihr eigenes Karma. Da kann man seinem Schicksal nicht entgehen. Und ich will mich auf gar keinen Fall von dir trennen müssen. Dann bleibe ich lieber hier.“

Während wir die Sache mit dem Karma noch durchdiskutierten, klingelte schon wieder das Telefon. „Das klingt gut!“ frohlockte meine Freundin. „Die wollen sogar heiraten!“ – „Und warum ziehen die dann aus?“ war ich nun doch sehr irritiert. „Och, denen ist nur die Wohnung zu teuer geworden. Kaum waren die eingezogen, ist der Typ arbeitslos geworden.“