Wachwechsel in der Nacht

■ Das Fernsehfest Köln eröffnet mit "The Late Shift", einer galligen Realsatire über die US-Night-Talker Lettermann und Leno - und die Machtstrukturen der Branche

Während langer Wachperioden im Ausguck, immer ein Auge auf den Bildschirm gerichtet, kommen einem mitunter die schrulligsten Ideen. Zum Beispiel diese: Ist womöglich gerade die hochgradige Professionalisierung und rigorose Effizienz des US-amerikanischen Fernsehsystems Ursache und Voraussetzung jener wahrlich bewundernswerten Souveränität, die den dort Tätigen immer wieder mal gestattet, mit den Mechanismen, Standards und Konventionen des eigenen Mediums so überaus respektlos umzugehen? Wäre hierzulande denkbar, daß premiere bei Bernd Eichinger einen TV-Film in Auftrag gibt, der, sagen wir, den Wechsel Harald Schmidts zu Sat.1 zum Thema hat, bei voller Namensnennung der Beteiligten und in Form einer sacht karikierenden Darstellung der Hauptpersonen? Schmidts Haartracht wäre im Film noch eine Spur verwegener, er selbst ein ausgemachter Neurotiker. Fred Kogel käme vielleicht als streberhafter Giftzwerg daher, seine Kollegen von ARD und ZDF wohl gar als Sauertöpfe par excellence.

In den USA geht so was. Am Anfang der Geschichte steht Johnny Carson, nicht der Erfinder, aber dreißig Jahre lang die Galionsfigur des „Late Show“-Formats, schon zu Lebzeiten ein Monument der Fernsehgeschichte und ein veritabler Wirtschaftsfaktor: In den besten Zeiten erzielte die tägliche „Tonight Show“ siebzehn Prozent des gesamten Umsatzes der Senderkette NBC. Es nimmt nicht wunder, daß die Konkurrenz neidete und die Suche nach Carsons Nachfolger zu einer hochbrisanten Angelegenheit wurde. In „The Late Shift“ schildert Betty Thomas die Umstände, unter denen der Wachwechsel vor sich ging. Die Unterhaltungschefs des CBS Networks setzten das Roulette in Gang, als sie dem in der Nachtschiene erfolgreicheren Mitbewerber NBC einen seiner Conferenciers abzujagen suchten. Zur Debatte standen der Stand-up comedian Jay Leno, seit 1987 alleiniger Stellvertreter des nur noch reduziert auftretenden Johnny Carson, und David Letterman, dessen nachmitternächtliche Sendung „Late Night with David Letterman“ eine beachtliche Reichweite erzielte. Beide waren indes weniger an einem Wechsel als an Johnny Carsons prestigeträchtigem Erbe interessiert. Eine geschickte Kampagne seiner Agentin, so jedenfalls schildert es der Film, verschaffte Jay Leno die verbindliche Zusage auf Carsons Nachfolge. Der enttäuschte Letterman wandte sich an die Künstleragentur Creative Artists Agency, die ihm den von einem hochdotierten Vertrag versüßten Transfer zu CBS vermittelte.

Mit dem TV-Film „The Late Shift“, vom Pay-TV-Sender HBO produziert und in den USA mit großer Resonanz aufgeführt, findet das Fernsehen auf standesgemäße Weise zu sich selbst. Die illustren Protagonisten, millionenschwere Fernsehstars und Senderchefs, sicherten diesem Stück Fernsehunterhaltung die besondere Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Dies um so mehr, als der Autor der Buchvorlage von Jay Lenos früherer Agentin – im Film von Kathy Bates dargestellt – verklagt wurde. „The Late Shift“ ließ also auf epische Indiskretionen hoffen. Vordergründig bedienen die Autoren diese Erwartung, verfolgen dabei aber ihr eigentliches Anliegen: die Machtstrukturen des Wirtschaftsbetriebs Fernsehen bloßzulegen. Die eminenten Einflußmöglichkeiten der Agenten kommen zur Sprache; deren ausgeklügelte Strategien werden ebenso aufgefächert wie der Machiavellismus der Sendergewaltigen oder die allseitige Indienstnahme der Presse.

Aparterweise wird das Schelmenstück heute abend als Eröffnungsfilm des Kölner Fernsehfestes „Cologne Conference“ aufgeführt – mit der prominenten Plazierung dieser despektierlichen Tirade über das ansonsten sich gefallsüchtig exhibierende Medium demonstrieren die Veranstalter gleichermaßen Ironiefähigkeit und beträchtliches Selbstbewußtsein.

„Believe it or not, the following is based on the truth...“, verspricht ein Schriftzug zu Beginn des Films. Bezüglich des Wahrheitsgehaltes der dargestellten Posse ist freilich Vorsicht angebracht; eine Ungereimtheit nämlich macht stutzen: Im Film gibt Johnny Carson am 23. Mai 1991 überraschend seinen endgültigen Abschied bekannt und hinterläßt eine darob heillos konsternierte NBC-Geschäftsführung. Demgegenüber schreibt Brandon Tartikoff, bis Frühjahr 1991 Unterhaltungschef bei NBC, in seinen Memoiren, daß Carson diesen Schritt schon im Februar 1991 angekündigt habe – und zwar in Anwesenheit des NBC-Vizepräsidenten John Agoglia. Man darf dem Fernsehen halt einfach nicht trauen... Harald Keller

Die „Cologne Conference“ zeigt „The Late Shift“ heute um 19.00 Uhr in der Kölner Rheinterasse, Rheinparkweg 1. Ein Überblick über die „Top ten“ des Internationalen Fernsehfestes: morgen auf diesen Seiten.