Um zwei Uhr morgens kippte die Stimmung

■ Die Wähler von Peres hatten sich zu früh gefreut. Am nächsten Tag feiern die Anhänger von Netanjahu. Sie wollen Frieden, aber keine neuen Zugeständnisse an die Palästinenser

„Abends bin ich traurig mit Schimon Peres ins Bett gegangen, und morgens bin ich fröhlich mit Benjamin Netanjahu aufgewacht.“ Jakub Naqasch, Anhänger der religiösen Schas-Partei, ist heute ein glücklicher Mann. „Ein Traumergebnis“, faßt er zusammen.

Mit 24 Sitzen ziehen die religiösen Parteien voraussichtlich in das nächste israelische Parlament, die Knesset, und ihr Wunschkandidat Netanjahu führt Israel ins nächste Jahrtausend. Aber, warnt er: „Noch ist Vorsicht geboten. Nicht alle Stimmen sind ausgezählt, und Netanjahu führt bis Donnerstag nachmittag mit ganzen 0,7 Prozentpunkten. „Sonst geht es uns so wie gestern abend den Anhängern von Schimon Peres“, fügt Naqasch grinsend hinzu.

Die hatten bereits etwas verfrüht nach der ersten Hochrechnung am Mittwoch abend zur Siegesfeier geblasen. Der bisherige Ministerpräsident Schimon Peres lag zu dieser Zeit mit einem Prozentsatz vorne. Singend und tanzend hatte dessen Fußvolk in einer von der Arbeitspartei extra dafür angemieteten Halle in Tel Aviv verbracht – alle mathematische Vorsicht gegenüber der ersten Hochrechnung über Bord werfend. Auch im benachbarten Jaffa, in einem der Büros der arabischen Islamisten, die erstmals zu den Knesetwahlen angetreten waren, herrschte Hochstimmung. „Allah ist großzügig“, schrien sie erleichtert, als die erste Hochrechnung auf dem extra dazu auf der Straße aufgestellten Fernseher erschien. Als Bilder von weinenden Likud- Anhängern eingeblendet wurden, jubelte die Menge vor der Glotze. „Es ist eine Erlösung. Die ganzen letzten Wochen standen wir unter Spannung und fürchteten, daß Netanjahu gewinnen könnte. Jetzt werden wir den Friedensprozeß voranbringen“, erklärte der Physiotherapeut Yussuf Maschrawi noch zuversichtlich.

„Peres ist ein Luder, wie kann man den wählen“, platzte dagegen der junge, punkige Barkeeper namens Elran heraus, während er entsetzt den Fernseher nicht aus den Augen läßt. Oppositionsführer Benjamin Netanjahu vom Likud-Block verspricht für ihn jugendliche Frische, Ehrgeiz und Stärke. Aber es scheint etwas schiefgelaufen zu sein. „Peres möchte Jerusalem teilen, und das könnte einen Bürgerkrieg geben“, meint Elran, während er sich seinen nächsten Whisky-Cola mischt. Im Hintergrund klacken die Billardkugeln in einem der einschlägigen Salons nahe des Tel Aviver Mittelmeerstrandes.

Sie alle lagen wohl schon friedlich in ihrem Bett, als gegen zwei Uhr morgens die korrigierte Hochrechnung auf den Fernsehkanälen erschien. Nach Sonnenaufgang schwang dann die gute Stimmung auf die Netanjahu-Anhänger über. Bereits zum Frühstück griffen viele Marktsteher des Machane-Jehuda-Marktes, einer rechten Hochburg inmitten Westjerusalems, zu Champagnerflaschen zum Frühstück. „Die ganze Welt, einschließlich den USA, war gegen uns. Wir werden ihnen zeigen, daß wir kein US-Bundesstaat sind“, warf Obstverkäufer Abraham Levy stolz ein. Fast alle waren sich dort einig. Das wichtigste Ergebnis für sie ist, daß es in der Knesset mit dem Likud und den rechten und religiösen Parteien eine jüdische Mehrheit gibt. Damit bleiben die arabischen Parteien de facto vom politischen Prozeß ausgeschlossen.

„Jetzt ist Schluß mit den Zugeständnissen an die Araber. Wir alle wollen Frieden. Aber wir werden weder Jerusalem teilen noch den Golan an die Syrer aufgeben. Und wenn es denen nicht schmeckt, dann kämpfen wir eben wieder“, erklärt ein junger Käufer pathetisch.

In der Frauenrunde in einem Café in einem Einkaufszentrum, in der die eher gutsituierte Mittel- und Oberschicht Westjerusalems einzukaufen pflegt, gibt es dagegen an diesem Morgen keine fröhlichen Gesichter. Allesamt Anhängerinnen der Arbeitspartei von Peres oder der linken Meretz-Partei, haben sie sich hier getroffen, um den Frust nicht alleine zu Hause abzuarbeiten. Der enorme Zuwachs der religiösen Parteien macht ihnen Angst. „Demnächst werden wir nichtreligiösen Juden hier in Israel in der Minderheit sein“, prognostiziert eine von ihnen düster. Ein streng religiöser Innen- oder Erziehungsminister dürfte ihr Leben nicht gerade einfacher machen.

Und der Friedensprozeß? Das schlimmste sei, daß das Land nach diesen Wahlen fast genau in der Mitte geteilt sei. Eine Katastrophe, meinen alle. „Jeder hier in Israel redet vom Frieden, aber etwas mehr als die Häflte der Bevölkerung ist offensichtlich nicht bereit, den entsprechenden Preis dafür zu zahlen.“ Karim El-Gawhary, Jerusalem