Der Fall von Srebrenica war eiskalt kalkuliert

■ Frankreich und die UNO sollen Luftangriffe auf bosnische Serben untersagt haben

Amsterdam (taz) – Das UNO-Hauptquartier in Zagreb hat nach Informationen des NRC-Handelsblad, des niederländischen TV-Magazins „Kenmerk“ und des britischen TV-Senders Channel 4 die Enklave Srebrenica bewußt aufgegeben. Srebrenica war am 11. Juli vergangenen Jahres von den bosnisch-serbischen Truppen eingenommen worden. Während Frauen, Kinder und Alte mit Bussen über die bosnisch-serbische Grenzlinie gebracht wurden, wurden Tausende Männer verschleppt, vermutlich getötet und in Massengräbern verscharrt. Nach Angaben der Medien hat Frankreichs Präsident Chirac nach einem Treffen mit Serbiens Präsident Milošević dem französischen Oberkommandierenden der UNO-Truppen, General Janvier, die Anordnung erteilt, keine Luftangriffe gegen die bosnisch-serbischen Truppen zu fliegen. Am 4. Juni 1995 traf sich Janvier demnach mit dem bosnisch-serbischen Oberbefehlshaber Mladić und vereinbarte ein Ende der Luftangriffe. Im Gegenzug ließen die bosnischen Serben über zweihundert Blauhelme frei.

Die Medien haben überdies Beweise dafür gefunden, daß sich der UNO-Beauftragte Yasushi Akashi auf die Seite Janviers gestellt und alle Indizien für den drohenden Massenmord ignoriert hatte. Schon im April 1995 soll der britische UNO-Kommandeur in Bosnien, Rupert Smith, aufgrund von Geheimdienstinformationen vor dem drohenden Angriff auf die Enklaven gewarnt und entsprechende Maßnahmen gefordert haben. Bei einem Treffen mit Akashi und Janvier am 9. Juni in Split sei Smith jedoch ein defensives Verhalten der UNO-Truppen diktiert worden, wonach keine Luftangriffe mehr geflogen werden sollten. Die dringenden Bitten um Luftunterstützung von Blauhelmen in Srebrenica, die im Zagreber UNO- Hauptquartier einliefen, sind nach Angaben von UNO-Offiziellen niemals nach New York weitergeleitet worden.

Den Berichten zufolge erteilte Janvier dann am 10. Juli, einen Tag vor dem Fall der UN-Schutzzone Srebrenica, bereits in der Luft befindlichen Nato-Flugzeugen den Befehl, beizudrehen. Nur zwei niederländische F-16-Bomber griffen an, verfehlten aber ihr Ziel. Ein niederländischer UN-Offizier bezeugt, daß Janvier angegeben habe, Luftangriffe seien zu gefährlich für die eigenen Truppen.

Die französische Regierung dementierte gestern abend die Darstellung. Die niederländischen Truppen, die die Luftunterstützung angefordert hätten, seien in alle Entscheidungen eingebunden gewesen. ez/gb