Stahlsessel statt Spielzeug

Heute ist Weltkindertag: In Ämtern, Behörden, Banken und Museen wird noch immer nicht daran gedacht, daß 250.000 Kinder in Berlin leben  ■ Von Christa Boll

Knapp 250.000 Kinder unter 13 Jahren leben in Berlin. Diese Tatsache scheinen manche aber nicht registrieren zu wollen. Ein Beispiel für diese Ignoranz ist das Arbeitsamt III in Charlottenburg. Angegliedert ist hier die Kindergeldkasse, jetzt Familienkasse, zuständig für alle Westbezirke. Vier Warteräume insgesamt, alle bestückt mit graublauen Stahlsesseln, darauf und dazwischen jede Menge Eltern mit quengeligen Kindern. Längere Wartezeiten müssen in Kauf genommen werden. Vergebens werden Sie hier nach einer Möglichkeit suchen, Ihren Nachwuchs zu beschäftigen. Kein Spielzeug, keine Spielecke – nichts. Selbst eine Wickelgelegenheit, werden Sie nicht finden.

Eine Ausnahme? Leider nicht. Fast alle Senatsverwaltungen und Bezirksämter, auch die, die direkt oder indirekt mit Eltern-Kind-Angelegenheiten zu tun haben, tragen dem keinerlei Rechnung. Erziehungsgeldstellen, Sozialämter, Arbeitsämter, Meldestellen – in der Regel triste und lieblose Aufenthaltsräume, meist sogar nur Flure.

Eine besonders unangenehme Örtlichkeit ist im Kreuzberger Rathaus, Altbau, dritter Stock. Sozialamt und Erziehungsgeldstelle befinden sich auf einem düsteren und rauchigen Flur. Mehrere Holzbänke, sowie zwei marode Pinnwände aus Preßspan stellen den einzigen „Schmuck“ dar. Angesichts der Tatsache, daß eine große Gruppe der SozialhilfeempfängerInnen alleinerziehende Mütter sind, ist das nicht zu verstehen. Da nützt es auch nichts, daß Mitarbeiter einen Aushang mit den Worten „Liebe Sozialhilfeempfängerin, lieber Soziahilfeempfänger“ beginnen.

Allerdings: Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Kitavermittlungsstelle in der Prinzessinnenstraße in Kreuzberg hat sich auf ihre Klientel eingestellt. Fast der gesamte Aufenthaltsraum wird von einem großen Holzpodest dominiert. Integriert sind ein Tisch und Stühle für die Kinder sowie eine Rutsche, die in einem Meer von bunten Bällen endet. An den Wänden viele Fotos, Selbstgebasteltes, informative Aushänge, sowie eine extra Malwand runden den positiven Eindruck ab. Die Wartezeit läßt sich hier problemlos überbrücken. Lockere Gespräche unter den wartenden, ansonsten in Behörden selten, sind hier selbstverständlich.

„Draußenbleiben, Sie sehen doch, daß hier nur Platz für einen Kinderwagen ist!“ Dieser Befehl des Busfahrers bedeutet noch einmal 20 Minuten Wartezeit. Zum Glück hört man diesen Satz bei der BVG immer seltener, werden die Gelenkbusse mit viel Platz immer häufiger eingesetzt – sie sind auch ideal für Rollstuhlfahrer. Selbst im U-Bahn-Bereich sind Fortschritte zu verzeichnen. Waren die Personenlifte früher eine Ausnahme, sieht man sie inzwischen häufiger, wie neuerdings auch am Hermannplatz und am Oranienburger Tor.

Fahren Sie ab und zu mal in andere Städte? Dann ist Ihnen vielleicht schon aufgefallen, daß viele Banken dort für Ihre zukünftigen Kunden Malstifte und Bücher bereitlegen. Ein Service, der hier so gut wie unbekannt ist. Warum eigentlich? Die Kinderfreundlichkeit der Post wiederum muß man teuer bezahlen. „Rolf“ groß, 39,95 Mark, „Rolf“ klein, 19,95 Mark, Spardose „Käptn Blaubär“ 12,95 Mark.

Bis jetzt sind kinder- und elternfreundliche öffentliche Institutionen die Ausnahme. Der unvermeidliche Besuch dieser Einrichtungen stellt für alle Beteiligten eine Belastungsprobe dar.

Ach übrigens: Haben Sie schon mal was von einem Museum oder ähnlichem mit Kinderbetreuung gehört? Ich meine nicht die, die sich speziell auf Kinder eingestellt haben, wie beispielsweise das ausgezeichnete Museum für Verkehr und Technik, die Domäne Dahlem oder die Kindergalerie im Bode- Museum. Nein – Sie gehen ins Museum oder in eine Ausstellung, und Ihr Sprößling wird derweil betreut oder bekommt eine eigene Führung. Zukunftsmusik? Vielleicht.

In der kommenden Woche schreibt Edith Fellner über kinder(un)freundliche Restaurants und Geschäfte