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Freaks sitzen am Resopaltischchen

■ Das Design in einer Kneipe geht meistens konform mit der Bekleidung der Gäste: Massenhafte Neueröffnungen schaffen Konkurrenzdruck, die Wirte spezialisieren sich. Das Outfit eines Lokals dient der Imagebi

Wer eine Runde ausgibt, macht sich nicht immer beliebt. „Noch 'nen Rotwein für das Fräulein“, lallt der dickbäuchige Herr im Jogginganzug und stiert dem Mädchen mit den Dreadlocks, das ihm gegenübersitzt, auf den Ausschnitt. Niemand reagiert auf die Order, und das ist kein Wunder, denn im „Obst und Gemüse“ in der Oranienburger Straße ist Selbstbedienung angesagt. Die Frau, zu der sich der Betrunkene mit seinem Kumpel gesetzt hat, ist peinlich berührt. „Wollte gerade gehen“, nuschelt die Umworbene, und noch ehe die beiden, die Hans und Rudi heißen, passende Worte finden, ist die Schöne verschwunden.

Hans und Rudi, die am Vatertag kräftig einen über den Durst getrunken haben, sind zum ersten Mal im Obst und Gemüse. Hier, wo sich Lebenskünstler, Touristen und jugendliche Besucher vom gegenüberliegenden Tacheles herumdrücken, wirken die beiden wie exotische Fossilien. Wären sie bei vollem Verstand, hätten sie diese Kneipe wohl nicht so schnell betreten. Wahrscheinlich hätte sie beim Blick auf die alten Holzbänke mit den weintrinkenden Twens ein komisches Gefühl beschlichen. Ein Kribbeln im Bauch als Signal dafür, daß man hier irgendwie nicht dazupaßt. Nun ja. Aber da Hans und Rudi wie berichtet ziemlich zu sind, zählt an diesem Abend nur, daß sie am Tresen noch ein Bier bekommen haben, alles andere ist egal. „Wir sind aus Marzahn und wollen einen draufmachen“, rechtfertigt Rudi. Sollen sie.

Von der Decke hängt ein klappriger Trabi

Vielleicht hätten Hans und Rudi auch einfach ein paar Schritte weitergehen sollen. Im „Kiez-Treff 44“ sitzen noch mehr Männer in Jogginganzügen. Wenn sie nicht an ihrem Bier nippen, spielen sie Skat oder lassen sich einfach vom seichten Popsound berieseln. Der Wirt vom Kiez-Treff ist gleichzeitig der Besitzer des Antiquitätenhandels nebenan. Alte Werbeschilder an den Wänden der Kneipe, ein klappriger Trabi an der Decke sowie Stühle aller Stilepochen zeugen davon, daß der Mann designmäßig an einer ersprießlichen Quelle sitzt. So überladen die Einrichtung auch wirkt, den Gästen, die alle längst die 50 hinter sich haben, gefällt's, und das ist die Hauptsache. Aber ob sich hierhin freiwillig ein Künstler vom Tacheles verirren würde? Bestimmt nicht im nüchternen Zustand.

Nirgendwo sonst im Leben gehen Mensch und Ort eine innigere Beziehung ein als in Kneipen und Cafés. Gaststätten sind nicht nur in Berlin das Spiegelbild einer Gesellschaft, die so viele Grüppchen bildet, daß sie eigentlich nur noch eines verbindet: ihre Liebe zum Bier. In Tausenden von Etablissements fließt es gleichermaßen aus dem Zapfhahn, aber in welcher Umgebung!

Design in Berliner Bars und Kneipen ist so vielfältig, daß einem bei näherer Betrachtung des Themas ganz schwindlig wird. Da gibt es Kiezkneipen mit dunklem Eichenmobiliar, lichtzuckenden Spielautomaten und Schlagersternchen im Lautsprecher, Bars aus kaltem Stahlrohr, wo die Technoklänge an kahlen Wänden verhallen, Besetzerspelunken mit durchgesessenen Sofas und Kerzen auf den klapprigen Campingtischen, Pubs, in denen irische Bauarbeiter sich zu Hause fühlen dürfen, weil die Einrichtung original aus Dublin stammt, Cocktailbars mit Barhockern aus Fellimitat für Sekretärinnen et cetera.

Wer als Wirt erfolgreich sein will, muß sich spezialisieren, und das in zunehmendem Maße. Gerade in Gegenden wie Mitte oder Prenzlauer Berg, wo die riesige Zahl an Neueröffnungen Konkurrenzdruck schafft, gibt es kaum noch eine Kneipe, die versucht, jedem gerecht zu werden. Und das Outfit eines Lokals trägt zur Abgrenzung bei.

Manchen fällt es leicht, eine Zielgruppe zu finden, weil man nur in den Spiegel zu schauen braucht. Jannis und Thanassis Zotos zum Beispiel haben im Februar dieses Jahres das „6-flat“ in der Rosenthaler Straße eröffnet. Selbst begeisterte Jazzmusiker, wollten sie mit ihrem Lokal ein neues Forum für Konzerte schaffen, was sich nicht zuletzt in der Einrichtung des weitläufigen Gastraums bemerkbar macht. Riesige Schallschlucker an den Wänden sorgen für erträglicheren Klang und sehen dabei noch so originell aus, daß der Laie damit eher eine Kunstinstallation assoziiert als einen wirklichen Nutzen. Allein die Bestuhlung aus Chrom und Preßholz erinnert gar zu sehr an Mensa-Mobiliar, was die Gäste nicht zu stören scheint. Abends ist der Laden leidlich gefüllt mit StudentInnen und anderem Volk aus der Umgebung.

Die Bestuhlung erinnert an Mensa-Mobiliar

Nicht immer orientiert sich der Geschmack der Szene am passenden Outfit einer Tränke. In Zeiten, wo Kitsch groß im Kommen ist und selbst Punks Gefallen an alten Schlagern von Conny Froboess finden, gilt es mittlerweile als schick, dort abzusteigen, wo man sich selbst niemals vermuten würde: in der „Ankerklause“ in Kreuzberg etwa oder dem Ausflugsdampfer „Pik As“, der im Urbanhafen dümpelt. Dort lümmeln die Freaks zwischen Resopaltischchen und Plastikblumen und fühlen sich wohl.

Nicht zuletzt bestimmt vor allem das Geld der Gäste, wie ein Lokal auszusehen hat. Wer zum Beispiel im „Champussy“ in der Uhlandstraße Rothschild schlürfen geht, hat so viel Schotter in der Börse, daß er dafür auch das entsprechende Drumherum erwarten darf. Viel Chrom, noch mehr Spiegel und ein begabter Pianist am Flügel, das ist das mindeste, was Champusabonnenten für ihr Geld kriegen. Daß sich Gäste in edler Umgebung auch gern teuer und perfekt kleiden, liegt nicht nur an den vielen Spiegelbildern, die einem in Läden wie dem Champussy ins Auge springen. Auch die Gastgeber, in diesem Fall die Wirte, stellen gewisse Ansprüche an ihre Gäste. Werden sie nicht erfüllt, etwa wenn ein Penner plötzlich am Tresen lehnt, folgt der mehr oder weniger dezente Rauswurf. Das Bild vom perfekten Etablissement mit perfektem Publikum verträgt keinen Makel.

Da geht es in Läden wie dem Obst und Gemüse schon lässiger zu. Touristen und Betrunkene, die sich hier regelmäßig hineinverirren, werden allenfalls mit Mißachtung gestraft. Für die Lieben daheim bleiben so unvergeßliche Eindrücke zu berichten. Christine Berger

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