Im Minibus nach Mandalay

Zwangsarbeiter, Frauen und Kinder schaffen die touristische Infrastruktur. Militärs verkaufen rationiertes Benzin auf dem Schwarzmarkt. Ein Straßenzustandsbericht aus Birma  ■ Von Dorothee Wenner

Die Straße von der birmesischen Hauptstadt Rangun nach Pyay ist die beste im ganzen Land: zweispurig, schnurgerade, mit exakten rotweißen Markierungen und ohne nennenswerte Löcher. Die knapp 300 Kilometer kann man bequem in sechs Stunden zurücklegen, das ist mindestens doppelt so schnell wie die Durchschnittsgeschwindigkeit auf anderen Abschnitten der ansonsten einspurigen Nationalstraße. Die Birmesen haben diese Rennpiste den „Ne-Win-Highway“ getauft, weil er seine Entstehung der Tatsache verdankt, daß die Eltern des Exdiktators in Pyay wohnten und ihr Sohn sie in guter buddhistischer Tradition oft und gerne besuchte. Im Unterschied zu vielen anderen Extravaganzen Ne Wins profitieren zumindest auch die Autofahrer von diesem „Privat-Highway“, allerdings auf Kosten all der Straßenbenutzer, die sich andernorts eher paritätisch den betonierten Streifen teilen: Schulkinder, Bauern, die am Rand ihren Reis trocknen, Fahrradfahrer, trampende Lehrerinnen, Ochsenkarren und Hunde. Letztere reagieren übrigens in Birma ganz anders auf hupende Autos als bei uns: Statt wegzurennen, bleiben sie zumeist stehen und erwarten, umkurvt zu werden. Diese Methode funktioniert meistens. Überhaupt passieren sehr wenig Unfälle, nicht einmal nachts, obwohl es kaum Straßenlaternen gibt und die wenigsten Autos funktionierendes Licht haben.

Das einzige Unglück auf unserer Reise durch Zentralbirma geschah wohl nicht zufällig auf dem Ne-Win-Highway: Ein Kind war auf die Straße gerannt, und ein Pick-up mußte ausweichen, wobei das Auto in den Graben fuhr. Die etwa 20 Fahrgäste, die auf der Ladefläche gestanden hatten, lagen und saßen am Straßenrand. Fünf von ihnen wurden in unseren Minibus getragen: der unter Schock stehende Fahrer, seine Mutter und drei an Armen, Schultern und am Kopf blutende Schwestern. Zwar war die nächste Kleinstadt nicht weit, aber die Mutter wollte dort unter keinen Umständen zum Arzt, sondern nach Hause, ins 70 Kilometer entfernte Rangun. Eine Tortur für die Verletzten, doch nicht zu vermeiden. Wären sie zu einem Arzt gegangen, hätte dieser möglicherweise den Unfall gemeldet, und dann wäre der Sohn ins Gefängnis gekommen, weil man ihn für den Unfall verantwortlich gemacht hätte.

Dieser Krankentransport war die einzige Situation, wo wir uns als Touristen dank des gemieteten Minibusses nützlich machen konnten. Ansonsten hat man eher den Eindruck, daß jedes zusätzliche Auto das Leben in den Dörfern entlang der Nationalstraße empfindlich stört. Die wenigen betonierten Straßen im Land sind sehr schmal und werden bislang auch noch als Markt, Wohnzimmer, Spielplatz, Café oder Arbeitsplatz genutzt. Das erzeugt nicht nur in kleinen Dörfern eine quasi familiäre Atmosphäre, die sich für Touristen noch auf irritierende Weise verstärkt. Egal wie weit wir gefahren waren, allenthalben trafen wir wieder und wieder auf Reisende, denen wir zuvor schon in Pagan oder am Inle-See begegnet waren. Dieses Phänomen wird jedoch in Kürze genauso wie die am Straßenrand unermüdlich winkenden Kinder verschwinden: Obwohl in der Staatskasse kaum Geld vorhanden ist, hat der Ausbau der Infrastruktur höchste Priorität.

Breitere Straßen sind vor allem für die forcierte Entwicklung des Tourismus als wichtigen Wirtschaftszweig eine zentrale Voraussetzung. Tatsächlich kommt man auf der Strecke zwischen Rangun nach Mandalay alle paar Kilometer an Baustellen vorbei – vor allem Frauen und Kinder verrichten hier Knochenarbeit, schweres Gerät gibt es kaum. Mit winzigen Hämmerchen werden die Steine zerkleinert, der Teer wird in Öltonnen auf offenem Feuer erhitzt. Wegen der sengenden Sonne vermummen sich die meisten Arbeiterinnen den Kopf mit Tüchern und Strohhüten, ihre T-Shirts und Oberhemden sind oft völlig zerfetzt und bedecken die Haut nur, wenn sie zwei oder drei Schichten übereinander anziehen. Zwischen 20 und 50 Kyat (30–75 Pfennig) pro Tag verdienen die meisten Bauarbeiter entlang der vielbefahrenen Nationalstraße zwischen Rangun und Mandalay. Das ist auch für birmesische Verhältnisse wenig, aber immer noch privilegiert im Vergleich zu den Leuten, die in den abgelegeneren Regionen Birmas als Zwangsarbeiter rekrutiert werden. Die birmesische Regierung hat wiederholt den Vorwurf der UN-Menschenrechtskommission zurückgewiesen, daß sie für den Straßen- und Eisenbahnbau Zwangsarbeiter einsetzt. Laut General Khin Nyunt handelt es sich bei derartigen unbezahlten Arbeitseinsätzen um für Buddhisten übliche freiwillige Leistungen für das Allgemeinwohl. Doch allein die Tatsache, daß in den ehemaligen Bürgerkriegsgebieten manchen dieser „Freiwilligen“ Ketten angelegt werden, überführt die Militärs der Lüge.

Kurz vor Mandalay beginnt es so heftig zu regnen, daß wir in einer Fernfahrerkneipe anhalten. Über der Bar prunkt ein mächtiger Hausaltar mit Buddhafiguren, Räucherstäbchen und Bananen, darunter ein mit Häkeldeckchen verzierter Fernseher. Am Nebentisch sitzt ein Amerikaner, C.J. Schoepe, Fernmeldetechniker in der amerikanischen Botschaft von Rangun. Wir bestellen gemeinsam eine Flasche Mandalay-Rum, der in Birma übrigens kaum teurer als die gleiche Menge Bier ist. C.J. Schoepe spricht ganz passabel birmesisch, darauf ist er sehr stolz, und mag es gar nicht, wenn die Birmesen über seinen Akzent lachen. „Sobald man Rangun oder Mandalay verläßt, sind Sprachkenntnisse wirklich sehr praktisch, da kommt man mit Englisch nicht mehr weit!“ Am Wochenende macht er oft Ausflüge in seinem Toyota. „Den BMW hat meine geschiedene Frau gekriegt.“ Obwohl Birma, ähnlich wie Bangladesch oder Nigeria, als ein „harter Posten“ gilt, gefällt C.J. das Land außerordentlich. Seit drei Jahren wohnt er in einem Apartment im Diplomatenviertel von Rangun, unweit der Villa der Oppositionsführerin Daw Aung San Suu Kyi.

Einmal hat er sie schon getroffen, das sei der Höhepunkt seiner bisherigen Karriere gewesen. C.J. war der einzige in Birma, der den Namen der prominenten Nobelpreisträgerin in unserer Gegenwart laut ausspricht – vielleicht im Bewußtsein, die gesamte US-amerikanische Staatsmacht im Zweifelsfall hinter sich zu wissen. Er hofft darauf, daß die Öffnung des Landes für Touristen und ausländische Investoren Veränderungen mit sich bringt, die der SLORC (Staatsrat zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung) nicht mehr kontrollieren kann: „Allein die Mobilität“, erzählt er. „Als ich hier ankam, war ich praktisch der einzige auf der Straße, ich war in fünf Minuten bei der Arbeit. So etwas hatte ich vorher noch nie erlebt, es gab wirklich kaum Autos hier! Wenn ich damals mal später nach Hause kam, mußte ich immer sehr aufpassen. Besonders in Vollmondnächten saßen die Birmesen nämlich gerne mit ihren Gitarren mitten auf der Straße und haben gesungen!“ Auch sonst betrachtet C.J. die Militärdiktatur – bei allem Abscheu vor den Menschenrechtsverletzungen – in erster Linie aus der konkreten Autofahrerperspektive: „So ein System hat auch seine Vorteile: „Wenn der SLORC eine Straße bauen will, und da steht ein Haus im Weg, dann lassen sie es einfach räumen und bauen eine schöne, gerade Straße. Bei uns geht so etwas nicht...“

Für Ausländer ist es nicht ganz einfach, allein mit dem Auto durch Birma zu fahren. Zuerst einmal, weil die meisten Wagen das Steuer auf der rechten Seite haben, was die Überholmanöver im Rechtsverkehr einigermaßen abenteuerlich gestaltet, wenn man diese Praxis nicht gewöhnt ist. Dann gibt es das Problem mit dem Tanken. Benzin ist rationiert, wobei Soldaten Sonderzuteilungen bekommen. Folglich ist der Schwarzmarkt mehr oder minder fest in Händen der Armee, die ihre Getreuen schon seit Jahrzehnten über diese Art Privilegien an sich bindet. Vor diesem Hintergrund verblüfft einen auch die enorme Anzahl von tiefgrünen Armeetankwagen auf Birmas Straßen nicht mehr. Offizielle Tankstellen gibt es kaum, statt dessen weisen leere Flaschen, die auf einigen Steinen am Straßenrand stehen, auf illegale Verkaufsstellen in der Nähe hin.

In einem dieser gut versteckten Benzinlager treffen wir den Lkw- Fahrer U Win Aye. Der Motor seines imposanten Gefährts liegt offen und scheint dank guter Wartung mindestens schon seit dem Zweiten Weltkrieg zu funktionieren. Win Aye hat meterhoch Blumenkohl geladen, den er aus dem Shan-Staat nach Rangun transportiert. Die Ladung kostet 25.000 Kyat, rund 250 Dollar, was das Gemüse für die meisten Leute in Rangun fast unbezahlbar macht. „Obwohl ich meine Familie in Rangun viel zu selten sehe, hat mein Job auch gewisse Vorteile. Ich kann unterwegs überall dort einkaufen, wo es billig ist.“

Seit die Reispreise wieder gestiegen sind, kommen viele Familien mit ihrem Geld nicht mehr aus – Win Aye geht es ähnlich. Außer seiner Frau und vier kleinen Kindern muß er nebenbei noch seine kranke Mutter finanziell unterstützen. Wie sehr viele Birmesen leidet sie wegen der schlechten Ernährung an Bluthochdruck und zu hohem Cholesterinspiegel. Wirksame Medikamente gibt es nicht, und wenn, wären sie unerschwinglich. In seiner Not sei Win Aye vor kurzem in einen Tempel gegangen und habe einem Nat, einer birmesischen Mischung aus Geist und Schutzpatron, 500 Kyat gespendet. In der Hoffnung, daß dieser ihm – wie schon einmal – auf schicksalhaftem Weg die Summe verdoppelt oder verdreifacht zurückkommen ließe. „Und außerdem mache ich natürlich jeden Morgen bei der ersten Gelegenheit eine Spende.“

Der Weg von Mandalay nach Rangun, so sagt ein birmesisches Sprichwort, sei die einfachste Methode, einen Lottogewinn durchzubringen. Und zwar durch unentwegtes Spenden. Entlang dieser Straße stehen alle paar Kilometer kleine Gruppen von Menschen mit silbernen Metallschüsseln in der Hand, die die Vorbeifahrenden mit Zurufen, Lautsprechern und manchmal sogar mit karnevalesk geschmückten Elefantenattrappen um Kyats bitten. Um neue Pagoden zu bauen, alte zu renovieren, aber auch für Schulen, um deren Erhalt sich die Militärregierung überhaupt nicht mehr kümmert. Ein Dorf bei Taunggo war auf die clevere Idee gekommen, seine Pagode mit der Segnung von Autos zu finanzieren.

Angesichts des zunehmenden Verkehrs eine echte Marktlücke. Und keineswegs überflüssig, wenn man bedenkt, daß wegen der vielen Unfälle an einer tückischen Kreuzung am Ne-Win-Highway bereits eine riesige Pagode errichtet wurde, als Präventivmaßnahme gegen weiteres Unheil.