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: In der Versenkung

„Tod im Kreml“, Donnerstag, 23.00 Uhr, ARD

Na ja, daß sich in der kommunistischen Ideologie ein kräftiger Beisatz religiöser Inbrunst und Heilserwartung findet, daß infolgedesssen auch Taufen, Konfirmationen, Hochzeiten und Beerdigungen mühelos ins sozialistische Diesseitige transponiert wurden – das alles hat sich in den vergangenen hundert Jahren herumgesprochen. Regine Kühn und Eduard Schreiber konnten deshalb nicht hoffen, mit ihrer These, die Begräbnisrituale der sowjetischen Zeit seien eine Fortsetzung entsprechender russisch- orthodoxer Praktiken und dienten in erster Linie dem Machterhalt, irgend jemand vom Fernsehsessel zu reißen. Dies um so weniger, als die hinreißenden Totenmusiken, die Warszawianka, das „Unsterbliche Opfer, ihr sanket dahin“, im Filmessay durch Glockengebimmel (!) und einfallsloses Spannungsgeräusch ersetzt wurden.

Auch ist nicht ganz einsichtig, warum der russische Muschik „um den guten König“ trauert. Es gab zwar in der bewegten Geschichte des Landes jede Menge Großfürsten und Zaren, aber keinem Alleinherrscher ist je eingefallen, den Königstitel in Anspruch zu nehmen, waren die Augen doch stets nach Zargrad gerichtet – nach Byzanz.

Wenn Kühns und Schreibers Essay nicht in vollständige Trivialität absackte, so lag das weniger am dokumentarischen Material – das war alles andere als unbekannt –, sondern an einigen wirklich ingeniösen Einfällen. In einer Dokumentarszene, der Versenkung des Sargs von Feliks Dsershinskij sieht man die Totengräber sorgfältig ans Werk gehen. Der Sarg wird peu à peu an Seilen herabgelassen. 52 Jahre später sind die KGB-Totengräber dazu nicht mehr in der Lage. An einer Seite entgleitet der Sarg ihren kraftlos gewordenen Händen und – plumps – liegt er in der Grube. Besser hätte es der große Dokumentarist Michail Romm auch nicht machen können!

Eine andere Szene spielt in der Moskauer Sargfabrik. Auf einem traurigen kleinen Plakat steht „Der Leib Lenins lebt und siegt!“, und ein rotes Fähnchen ist darüber befestigt. Was für eine wunderbare, absurde Travestie von Marx' „Eingeschreint im Herzen der Arbeiterklasse“, das der Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus den gefallenen Kämpfern der Pariser Commune nachrief. Nicht der Geist Wladimir Iljitschs weilt unter uns, sondern sein einbalsamierter Körper, der noch dazu bald nach Simbirsk oder St. Petersburg abgeschoben werden soll! Christian Semler