In die Ferne sehen

■ Diesmal ohne deutsche Beteiligung: Die "Cologne Conference" präsentiert im Rahmen des Kölner Medienforums die "Top Ten des internationalen Fernsehens"

Alljährlich Anfang Juni feiert Köln die Medien. Das Fachpublikum debattiert in Klausur den Stand der Dinge; das Fernsehen, vor allem das ortsansässige, geht auf die Straße und sucht Kontakt zum Publikum. Wer jedoch mehr möchte als ein Autogramm der Volkshelden aus „Lindenstraße“ oder „Verbotene Liebe“, verfügt sich in die allgemein zugänglichen Vorführungen. Geboten werden unter anderem: der Kultklassiker „The Monkees“, eine Michael- Radford-Retrospektive, das „Spectrum“ mit einer Auswahl internationaler TV-Produktionen sowie die „Top Ten des Internationalen Fernsehens 1996“.

Der vollmundige Titel verheißt die Präsentation ultimativer Spitzenleistungen; dieserart hochgeschraubte Erwartungen müssen nahezu zwangsläufig enttäuscht werden. Die Auswahl der „Top Ten“ geschieht nach Gusto des zuständigen Gremiums und ist zudem gewissen Sachzwängen unterworfen. Die im fraglichen Zeitraum uraufgeführte US-Serie „Murder One“ etwa dürfte in einer Revue der internationalen Spitzenleistungen keinesfalls fehlen. Tatsächlich war die Produktion in der engeren Wahl, mußte jedoch notgedrungen ausgeklammert werden, da Vox bereits im März mit der Ausstrahlung begann und der Premierenstatus damit nicht mehr gegeben war.

Die nunmehr vorgestellte US- Serie „Swift Justice“ erreicht trotz einiger formaler Besonderheiten nicht annähernd das durch „Murder One“ markierte Level, spiegelt aber immerhin eine aktuelle Tendenz des US-amerikanischen Fernsehens. Dort nämlich treten, im Zuge des Erfolges von „Walker, Texas Ranger“, zunehmend martialische Einzelgänger in Erscheinung, deren unorthodoxe Methoden die V-Chips heißlaufen lassen.

Immerhin läßt sich an diesem Exempel die primäre Aufgabe einer Veranstaltungsreihe wie der „Top Ten“ festmachen, dessen Programm schlechterdings den Anspruch einer internationalen Leistungsschau kaum erfüllen, aber weltumspannenden Entwicklungen nachspüren kann.

Naturgemäß richtet sich der Blick zunächst in die USA, dessen Fernsehen seit Jahrzehnten von der Infrastruktur und dem kreativen Potential der Filmstudios profitiert und schon allein deshalb anderen Produktionsländern weit voraus ist. Was dort Furore macht, wird über kurz oder lang auch auf das deutsche Programm abfärben. Die Science-fiction-Serie „Akte X“ beispielsweise genießt beiderseits des Atlantiks Kultstatus und hat eine Reihe ähnlicher Produktionen inspiriert, zum Beispiel den im Rahmen der „Top Ten“ zur Aufführung gelangenden Zweiteiler „The Invaders“, eine mit neuen Zutaten versehene, erzähltechnisch überaus gewitzte und anspielungsreiche Weiterführung des 60er-Jahre-Klassikers „Invasion von der Wega“.

Drei vielversprechende Dokumentarfilme

War 1995 nur ein Dokumentarfilm in die „Top Ten“ gewählt worden, so sind es in diesem Jahr deren drei. Ein bemerkenswertes Signal insofern, als hierzulande selbst öffentlich-rechtliche Redaktionen mittlerweile das schnelle Reportageformat einer intensiven Langzeitrecherche vorziehen.

Sehr viel Geduld bewies der Kanadier George Ungar. Sechzehn Jahre benötigte er für die Herstellung seines abendfüllenden Dokumentarfilms „The Champagne Safari“, das packende Porträt des Entrepreneurs Charles Bedaux, der bettelarm in die USA einwanderte, als Unternehmensberater etliche Millionen verdiente und einen maßlos exzentrischen Lebenswandel führte – sich gar als Führer einer neuen Weltordnung sah. Tief war der Fall, als er seiner Kollaboration mit deutschen und italienischen Faschisten wegen interniert wurde und daraufhin, so jedenfalls die offizielle Version, schließlich den Freitod wählte.

Komplexe Langzeitbeobachtungen

Der Lebensweg dieser schillernden Figur gibt Ungar die Möglichkeit, komplexe zeitgeschichtliche Fragen anzusprechen. Ähnlich beiläufig schildert Danielle Gardner in „Soul in the Hole“ die Lebensbedingungen der Schwarzen in den USA. Eine Saison lang hat sie ein Team von Basketballamateuren begleitet. Zwischen Court und Neighbourhood spielt sich ein persönliches Drama ab: Booger, der vielversprechende Star der Equipe „Kenny's Kings“, ist ein Streetkid und bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen einer Sportlerkarriere und dem Abgleiten in die Drogenszene.

Auch die dritte Dokumentation der „Top Ten“ ist eine Langzeitbeobachtung. James Cohen verfolgt in „A Band is Born“ die Bestrebungen eines ausgebufften Produzententeams, eine neue „Boy Band“ zu lancieren. Der Film beginnt mit der Suche nach geeigneten Kandidaten, zeigt deren Auswahl und Ausbildung, die strategischen Überlegungen bezüglich der Optik, der Musikauswahl und Präsentation der Gruppe und endet mit dem ersten großen Auftritt vor Publikum. Das Thema ist nicht grundlegend neu; eine niederländische Produktion dokumentierte recht ähnlich bereits die Entstehung der Formation Caught in the Act und wird im nachhinein dadurch geadelt, daß die Gruppe tatsächlich mit Erfolg etabliert werden konnte. Anders als seine niederländischen Kollegen verfolgte Cohen jedoch die Arbeit an und mit den Jungstars über einen längeren Zeitraum und hatte das Glück, erstaunlich offenherzigen Gesprächspartnern zu begegnen. Bereits am Sonntag wird „A Band is Born“ als „Spiegel TV“-Reportage auf Sat.1 zu sehen sein, in einer von 45 auf 30 Minuten gekürzten, dafür um aktuelle Informationen ergänzten Fassung. Harald Keller