■ Berlin braucht nicht ein Gelöbnis, sondern viele Gelöbnisse
: Es wird hart – das geloben wir

Hoffentlich resigniert die Bundeswehr nicht so schnell. Berlin braucht noch die eine oder andere Gelöbnisfeier. Denn was ist besser geeignet, um publikumswirksam zu demonstrieren: Ja, so sind wir Berliner – antipreußisch, antimilitaristisch, hedonistisch, postsozialistisch, unverbindlich, etwas provinziell und verspielt? Jedes öffentliche Gelöbnis stellt auch die Machtfrage: Wer gibt in der Stadt den Ton an? Wer dominiert den öffentlichen Raum? Das ist gut, das hält wach, das hält mobil. Also, laßt uns den Fehdehandschuh aufgreifen!

Allerdings sollten die Generäle wissen, es wird hart für sie. Wir („Anti“-)Berliner haben nicht 20 Jahre lang unsere Netzwerke aufgebaut, Häuser instandbesetzt, Basisgruppen gegründet, Stadtteile saniert, Zeitungen und Radiostationen gegründet, Straßenkämpfe ausgefochten, Nachbarschaften gepflegt, nur damit sich jetzt Militärs ins gemachte Nest setzen und ihre Republik propagieren. Das geloben wir.

Schließlich brauchen wir öffentliche Gelöbnisfeiern als Lernprozesse für all die Bundespolitiker, die jetzt und künftig zu uns an die Spree kommen. Das fördert die Transparenz, dämpft die Erwartungshaltung. Volksvertreter aus Ettlingen und Weißenfels sollen nicht wieder enttäuscht sein und am Ende sagen müssen: „Das haben wir nicht gewußt, daß in Berlin Demokratie auf den Straßen gelebt wird.“ Last but not least: Auch Eberhard Diepgen, Klaus-Rüdiger Landowsky, und wie die selbsternannten Vertreter der aussterbenden Spezies der Schultheiß-Berliner in CDU und SPD auch heißen mögen, brauchen Gelöbnisfeiern. Etwas begriffsstutzig weigern sie sich noch einzugestehen, daß sie mit all ihren symbolträchtigen Großprojekten – Olympiade, Länderfusion u.a. – grandios vor den Baum gefahren sind und sich der Lächerlichkeit preisgegeben haben. Die Versuche der „wahren“ Berliner, mit repräsentativen, unzeitgemäßen und obrigkeitsstaatlichen Inszenierungen ein neues Hauptstadtimage zu schaffen, sind zum Scheitern verurteilt. Wir wissen das. Die „wahren“ Berliner müssen das erst noch lernen. Helfen wir ihnen dabei.

Nicht sie, sondern die Mehrheit der („Anti“-)Berliner bestimmt mit ihren Großereignissen der letzten Jahre – Love Parade, Verhüllung des Reichstags, Karneval der Kulturen, Hausbesetzungen im Osten – das Bild Berlins. Bleiben wir also gelassen, denn schließlich gilt: Gelöbnisfeiern sind unerotisch, zwanghaft, langweilig. Berliner Jugendliche aller Länder wissen: Junge Männer mit zusammengekniffenen Lippen in Reih und Glied, eingezwängt in mausgraue Uniformen, sehen einfach scheiße aus. Eberhard Seidel-Pielen