Dunkle Wolken über Mexikos Frieden

Nach Gefängnisstrafen der mexikanischen Justiz gegen „mutmaßliche Zapatisten“, die den Dialog zwischen Regierung und Guerilla befördert hatten, droht in Chiapas neuer Krieg  ■ Von Anne Huffschmid

Genau siebzehnmal haben sich Abgesandte der mexikanischen Regierung im Laufe des letzten Jahres mit Terroristen zusammengesetzt und mit diesen in aller Seelenruhe über Demokratie, Gesetzesreformen und Menschenrechte verhandelt. Diesen Eindruck gewinnt zumindest, wer die jüngsten Urteile gegen zwei inhaftierte „mutmaßliche Zapatisten“ ernst nimmt. Zu 13 und 6 Jahren Gefängnis hatte ein Landesrichter in der Provinz Chiapas Anfang Mai den Journalisten und Politologen Javier Elorriaga und den Tzeltal- indianer Sebastian Entzin Anfang Mai verurteilt. Die Beschuldigung gegen die beiden Männer, die im Rahmen einer großangelegten Offensive gegen die Zapatistenguerilla schon am 9. Februar 1995 verhaftet worden waren: Mitgliedschaft in der Zapatistenguerilla EZLN, aus der sich dann nach der richterlichen Logik die Straftatbestände „Rebellion“, „Verschwörung“ und „Terrorismus“ ergeben.

Aufgrund dieser Urteilsbegründung droht dem nunmehr seit über einem Jahr andauernden Dialogversuch zwischen den Aufständischen und der Regierung jetzt das endgültige Aus. Elorriaga hatte bis zu seiner Verhaftung als persönlicher Bote zwischen Präsident Zedillo und der EZLN-Führung fungiert. Dank dieser Kommunikation wurde im Januar 1995 zunächst der damalige Innenminister Esteban Moctezuma – den jetzt die Verteidiger Elorriagas als Zeugen aufrufen wollen – im Lacandonen- Urwald von der Guerilla empfangen. Das war der Beginn des Gesprächsprozesses. Aber schon drei Wochen nach der Dschungelvisite Moctezumas erließ der frischgebackene Generalstaatsanwalt Antonio Lozano, Mitglied der rechtskonservativen Partei PAN, Haftbefehle aufgegen fünf EZLN-Comandantes, darunter auch Subcomandante Marcos. Die Haftbefehle wurden zwar kurze Zeit später kraft eines eigens beschlossenen „Dialoggesetzes“ suspendiert, aber nicht aufgehoben, so daß sie auch wieder in Kraft gesetzt werden könnten. In den Genuß der im Gesetz enthaltenen Amnestie für alle weiteren Zapatisten kommen Entzin und Elorriaga, so Justizbehörden, nicht: Schließlich sei die Amnestie erst im April 1995 in Kraft getreten, als die beiden schon zwei Monate lang im Gefängnis saßen.

Die Beweislage für das umstrittene Urteil, das von unabhängigen Rechtsexperten und Beobachtern als „Sabotage“ und „Provokation“ des Dialogprozesses scharf kritisiert wird, ist brüchig. So soll Elorriaga in seiner angeblichen Funktion als „Presse- und Propagandachef“ bzw. „Chefideologe“ der EZLN einige der zentralen Manifeste der Guerilla – für deren Autor alle Welt bislang den poetisch inspirierten Marcos gehalten hatte – verfaßt haben. Kopien dieser Dokumente, die mittlerweile in ein paar Dutzend Sprachen übersetzt sein dürften, wurden in Elorriagas Wohnung als „Beweisstücke“ beschlagnahmt. Der Kronzeuge der Regierung, ein mutmaßlicher „Deserteur“ der EZLN, auf dessen Aussage sich die Verhaftungswelle vor 15 Monate gestützt hatte, ist seitdem trotz diverser Vorladungen nie wiederaufgetaucht. Die einzige andere Aussage, die Elorriaga und Entzin belastet, wurde unter Folter erpreßt.

Daß es sich nicht nur um den Amoklauf eines Provinzrichters handelt, zeigt die Tatsache, daß schon vorher aus Kreisen der Generalstaatsanwaltschaft bis zu 40 Jahren Haft für Elorriaga gefordert worden waren. In einer Erklärung bezeichnete die EZLN die Strafen als „klares Signal des Krieges“ und „Urteil über die EZLN als Ganzes“, die zur Terrororganisation gestempelt werde. Solange das gelte, sehe man keinen Sinn in einer Fortsetzung des Dialogs. Der nächste Gesprächstermin zum Thema „Demokratie und Gerechtigkeit“ war ursprünglich für den 5. Juni angesetzt. Doch inzwischen sehen die Zapatisten diese Treffen nurmehr als ein immer wieder „erneuerter Hinterhalt“ im 20-Tage- Rhythmus.

Zwar ließen sich die Urteile formaljuristisch anfechten. Für politisch wirksamer – vor allem zur Rettung des abgestürzten Dialogs – aber halten viele Beobachter eine zusätzliche Amnestieklausel. Darüber wird hinter geschlossenen Türen bereits verhandelt. Selbst Vertreter des mexikanischen Konsulats in Berlin, dem am Donnerstag eine Protestresolution deutscher Solidaritätsgruppen übergeben wurde, äußerten gegenüber der taz die Vermutung, daß es bei den Urteilen wohl nicht bleiben werde. Eine Amnestie aber wollen Elorriaga und Entzin nur akzeptieren, wenn diese auch für alle anderen sechzehn Frauen und Männer gilt, die seit über 15 Monaten als „mutmaßliche Zapatisten“ im Gefängnis sitzen.

Aufgrund der neuen Krise sind die zapatistischen Truppen in „höchste Alarmbereitschaft“ versetzt. Alarmiert sind die Aufständischen nicht nur von der Justizoffensive in der Landeshauptstadt, sondern auch von Truppenbewegungen vor Ort. Die mexikanische Armee unternimmt in unmittelbarer Nähe der zapatistischen Stützpunkte großangelegte Streifzüge durch den Dschungel. Aber sie befinden sich keinesfalls auf der Suche nach Rebellen, wie der Oberbefehlshaber Renán immer wieder gegenüber der Presse beteuert, sondern nach Mohn und Marihuana. Auch die 73 Militärhubschrauber, die die USA ihren mexikanischen Nachbarn dieser Tage spendieren will, sind selbstredend „ausschließlich zur Drogenbekämpfung“ bestimmt.