EU verlangt Teilneuwahl in Albanien

■ Internationale Beobachter legen zahlreiche Beispiele von Fälschung vor

Berlin (taz) – Die Europäische Union hat gestern eine teilweise Wiederholung der Parlamentswahlen in Albanien gefordert. Einen Tag vor der Stichwahl in zehn Wahlkreisen hieß es in einer Erklärung, in Wahlkreisen, in denen Unregelmäßigkeiten festgestellt worden seien, müßten die Bürger erneut abstimmen.

Bereits am Vortag hatte sich Flavio Cotti, Schweizer Außenminister und OSZE-Vorsitzender, vorsichtig dafür ausgesprochen, die Wahlen wenigstens teilweise zu wiederholen. Mit „großer Besorgnis“ habe er die Berichte der OSZE-Beobachter gelesen, die beim ersten Wahlgang vom 26. Mai umfangreiche „Manipulationen, Unregelmäßigkeiten und Einschüchterungen“ feststellen mußten. Die albanischen Oppositionsparteien hatten schon am Dienstag vorgeschlagen, den Urnengang in ausgewählten Wahlkreisen unter internationaler Aufsicht zu wiederholen.

Eine deutliche Distanzierung vom Wahlergebnis bedeutet auch die Abreise der OSZE-Beobachter noch vor dem zweiten Wahlgang. „Dies war ein erfolgreicher Versuch von Wahlbetrug“, resümierte Paul Keetch auf einer Pressekonferenz der britischen und norwegischen OSZE-Beobachter, die ihre diplomatische Zurückhaltung schon in Tirana aufgegeben hatten. Dort hatten sie am Dienstag miterlebt, wie Polizei und paramilitärische Miliz auf dem Skanderberg-Platz brutal auf Demonstranten gegen den „Wahlbetrug“ einschlugen.

Die Ereignisse seit den Wahlen bestätigen die Befürchtung der Opposition, daß sich Albanien unter Präsident Berisha schnellen Schrittes in ein Einparteienregime zurückverwandelt. Berisha wird am Sonntag abend über mindestens 120 der 140 Parlamentssitze verfügen. Seine Demokratische Partei (DP) hat im ersten Wahlgang bereits 95 von 115 Direktmandaten gewonnen, dazu kommen – bei einem offiziellen Stimmenanteil von 67,8 Prozent – über zwei Drittel der 25 Listenmandate. Auch die Sitze in den 10 Wahlkreisen, aus denen am 26. Mai keine absolute Mehrheit gemeldet wurde, werden der DP zufallen, da die Oppositionsparteien im Laufe des ersten Wahlganges alle Kandidaten zurückgezogen haben.

Die Ereignisse in Albanien stürzen die Freunde und Paten des Berisha-Regimes in große Verlegenheit. Die OSZE-Beobachter sollten dem nachstalinistischen Albanien die demokratische Reifeprüfung abnehmen. Statt dessen haben sie katastrophale Defizite ermittelt, deren Ausmaß man in den EU-Hauptstädten und in Washington nicht erwartet hatte.

Beleg dafür ist das umfassende Sündenregister, das sich aus der Summe der Beobachterberichte ergibt. Die Wahllisten waren häufig unvollständig, die Vertreter der Opposition in den Wahlkommissionen in der Regel vom Auszählverfahren ausgeschlossen. In den Wahllokalen waren Geheimdienstleute anwesend, Regierungsvertreter „halfen“ beim Wählen, die Wahlzettel waren zum Teil gekennzeichnet. Zum wichtigsten Hebel des Wahlbetrugs aber wurde die willkürliche Entscheidung über „ungültige“ Stimmzettel. In den Wahllokalen wurden bis zu 50 Prozent der Stimmen für ungültig erklärt, die meisten wären – nach dem Beobachtungen der OSZE-Vertreter – den Oppositionsparteien zugute gekommen.

Aber den Beobachtern ist noch mehr aufgefallen. Zum einen gab es in den von ihnen „besuchten“ Wahllokalen prozentual deutlich weniger ungültige Stimmen als im jeweiligen ganzen Stimmbezirk. Zum zweiten bewirkte die Anwesenheit der Beobachter in diesen Lokalen ganz offensichtlich, daß die Regierungspartei einen deutlich unterdurchschnittlichen Stimmenanteil erzielte. Die OSZE-Delegation hat damit nicht nur klare Anhaltspunkte für einen Wahlbetrug des neuen albanischen Parteiregimes ermittelt. Sie hat auch demonstriert, wie segensreich eine flächendeckende Beobachtung von Wahlen sein kann. Niels Kadritzke