„Bitte Ruhe und stehenbleiben!“

■ Wer Geld anlegen oder einen Whirlpool kaufen will, ist beim Golfturnier auf Gut Kaden richtig

Die weißen Schnüre weisen den Weg. „Hier lang und nicht weiter“ wird signalisiert, und wenn doch ein Zuschauer den vorgeschriebenen Kurs verläßt, ist sofort ein Platzordner zur Stelle. Höfliche Menschen sind das, keine rüpeligen Rockkonzert-Schränke, die laut werden, um sich Gehör zu verschaffen; sondern solche, die, wenn es not tut, die Anweisung „Stehenbleiben, danke!“ noch einmal wiederholen und die entsprechenden Schilder „Bitte Ruhe! Keine Fotos!“ hochhalten. Freundlich, aber bestimmt. In der Regel reicht das, um die Gäste auf den rechten Pfad zurückzuführen und die sich konzentrieren wollenden Spieler vor Störungen zu bewahren.

Viele der Besucher sind zum ersten Mal auf der Golf-Anlage von Gut Kaden. Das erkennen die ehrenamtlichen Helfer sofort, die allesamt aktive Mitglieder des Golf und Land Clubs sind. Deshalb haben sie Verständnis, daß nicht jeder parat hat, was sich im weißen Sport schickt, der noch porentief reiner sein will als das geistesverwandte Tennis. „Es sind nicht alles Golfer“, bleibt das geschulte Personal stets gelassen. Und außerdem: Nur einmal im Jahr, wenn die sogenannten Europameisterschaften in der Nähe von Alveslohe stattfinden, wird das einige Hektar große Gelände vier Tage lang von Tau-senden Unkundiger betrampelt. Diese Erkenntnis stimmt milde, ab heute ist man vor Hamburgs Tür wieder unter sich und sieht die 34 000 dieses Jahres nicht so bald wieder.

Für Außenstehende ist Golf eine fremde Welt, und so soll es auch sein. Selbst aufgeschriebene Regeln bleiben unverständlich, wenn sie einem nicht erklärt werden. „Bitte setzen Sie die Divots wieder zurück“, heißt es in der „Etikette“, die vom 1754 in Schottland gegründeten Royal and Ancient Golf Club of St. Andrews verfaßt wurde und bis heute gültig ist. Nur die wenigsten Zuschauer wissen, daß sich hinter Punkt sieben der altehrwürdigen Anstandsregeln die Anweisung verbirgt, herausgeschlagene Grassoden wieder festzutreten.

Doch anscheinend lassen auch Golfspieler dann und wann den nötigen Takt vermissen. Zum Beispiel wenn sie vergessen haben, die Pitchmarks, die Aufschlagdellen auf den Grüns, zu entfernen oder die Bunker zu harken. Zur Erinnerung und steter Ermahnung sind deshalb die wesentlichen Inhalte der „Etikette“ auf den vielen Metalltafeln vermerkt: in goldener Schrift auf Dunkelgrün. Hinweisschilder sind auf der großzügigen 18-Platz-Anlage mit dem alten Baumbestand ohnehin reichlich vorhanden. So ist schnell und übersichtlich zu erfahren, welche areas für den Plebs closed sind: Fairway Lounge und Patrons' Club sind ebenso perdu wie das Herrenhaus.

Dafür stehen dem gemeinen Volk die „öffentliche Inseltribüne“ und der „öffentliche Insel Biergarten“ zur freien Verfügung. Am stärksten frequentiert ist das Public Bistro, vulgo: Hauptzelt. Dort befindet sich die Kaufhaus-Cafeteria-ähnliche Gastronomie, haben Firmen ihre Stände aufgebaut, an denen all das beworben wird, was nötig ist, um im Alltag einigermaßen zurecht zu kommen.

Tragbare Whirlpools werden offeriert und Golf-Antiquitäten wie historische Gemälde und 100 Jahre alte Schläger. Der La Cala Golf & Country Club bietet Anteile an einem Golf-Hotel in Marbella feil. Gegenüber erklärt das Land Schleswig-Holstein, wieso es doch sicherer ist, an diesem „Wirtschaftsstandort“ zu investieren und nicht an der Costa del Sol. Wer noch nicht über das notwendige Kapital verfügt, muß nicht verzagen. Vis a vis versprechen Geldzeitung und Finanzen, das „Wirtschaftsmagazin für erfolgreiche Kapitalanleger“, den Zugang zum Kosmos der Budgets und Bilanzen: „Lassen Sie Ihr Geld härter arbeiten!“

Auch der aktive Besucher kommt nicht zu kurz. Neben Indoor-Geschicklichkeitsgolfen und Kleinfeld-Putten besteht die Möglichkeit zur Teilnahme an Denksportaufgaben. An gleich drei Ständen soll erraten werden, „wieviele Golfbälle sich in dieser Säule“ befinden bzw. „in diesem Behälter“ oder „in dieser Lostrommel“. Am einfachsten macht es den Knobelfreunden der Hauptsponsor, der für die Golfprofis ein Preisgeld von 1,7 Millionen Mark ausgelobt hat. „Ein kleiner Tip: Die Anzahl der Bälle entspricht der addierten Dividendensumme der Deutschen Bank von 1994 (ohne Jubiläumsbonus) und 1995 in Millionen Mark.“ Viele verzweifeln: „Hätte ich nur die Geldzeitung gründlicher gelesen.“

Doch die Verstimmung ist nur von kurzer Dauer. Die Miene hellt sich auf, wenn man erst eine der Karohosen aus feinem englischen Zwirn in der Hand hat oder die handgearbeiteten Golfschuhe am Fuß. Der Verkaufsschlager ist jedoch – bei der feuchten Witterung kein Wunder – der Golf-Regenschirm für 29 Mark. Das Modell mit einer Schlägerkeule als Griff ist nicht nur chic, sondern auch „blitzgeschützt“. Ein sinnvoller Hinweis, denn schon häufig wurden Golfer niedergestreckt.

Zuschauer werden nur selten getroffen, höchstens von einem Ball, der in der Menge landet. Dann haben die Ordner reichlich zu tun. Die Meute muß beruhigt, der Ball an der Aufschlagstelle gesichert werden. Doch auch das bringt die Helfer nicht aus dem Konzept. Stange verstellen, Seil neu spannen – und weiter geht es: „Ruhe bitte! Keine Fotos!“ Clemens Gerlach