Ruhm, Ehre und zwei Kataloge von Beate Uhse

■ Die Bremer Kicker-Combo „Vibrator Moskowskaja“ wird Deutscher Alternativ-Fuß-ballmeister, der „Rote Stern“ wird Siebter / Von Altersweisheit und jugendlichem Elan

Also, die Entscheidung muß irgendwie so gefallen sein: Bernd „Diva“ Kusche, begnadeter Fußkünstler von „Vibrator Moskowskaja“ (sagen Mitspieler wie Geg-ner) tritt an, umfummelt vier bis sechs verzweifelt stolpernde Geg-ner der „Piranhas Regensburg“ und locht unwiderstehlich zum 3:0 ein. Kusche rennt jubelnd vom Feld ins schräge Oval der Bielefelder Radrennbahn, nur dummerweise in die Kurve, in der eher wenige Zuschauer zum Bewundern waren. Aber dafür wird er beim abendlichen Festbankett von Fans umlagert: „Willst du Zigaretten? Hol ich dir!“ So schön kann Fußball sein, so herzergreifend kann sich ein Deutscher Meister feiern lassen! So war es am Pfingstwochenende in Bielefeld, als die Alternative Deutsche Fußballmeisterschaft ausgekickt wurde. Und der Meister kommt aus – Bremen! Glück, Glanz, Ruhm, zwei Kataloge von Beate Uhse als Trophäen und die Ehre, die Meisterschaften im kommenden Jahr auszurichten, gingen an die jugendlichen Heißsporne von „Vibrator Moskowskaja“. Wobei Pelle Pelster, Altmeister der Bremer Traditionskicker vom „Roten Stern“ und Herz und Kopf der Bremer „Wilden Liga“, erheblichen Wert auf die Feststellung legt, daß seine Truppe den siebten Platz erreicht hat. Was die beste Platzierung der Sterne überhaupt ist.

Dabei hatte es am Pfingstwochenende ganz und gar nicht so ausgesehen, als ob ordentlich Fußball gespielt werden könnte, erzählen Pelster und Filip „Die Lunge“ Bertzbach von der Meistermannschaft in der Woche nach der Jubel-orgie. Denn während über der Christenheit in überdachten Gotteshäusern der heilige Geist ausgeschüttet wurde, hatten die 24 Alternativkickertruppen mit ziemlich realen Ausschüttungen zu kämpfen. Es goß in Strömen, die Plätze rund um die Bielefelder Radrennbahn waren knietief, „und der Ball hat zehnmal mehr gewogen als normal“, erzählt Pelster. „Mindestens!“

Und dann war da auch noch der Schock der Auslosung. Die Vibratoren, die im letzten Jahr den zweiten gemacht hatten (Im Elfmeterschießen, ganz unglücklich!), waren in ihrer Gruppe gesetzt. Und wer wird ihnen gleich als erste Mannschaft zugelost? Der Rote Stern! „Die haben uns in der Wilden Liga regelmäßig geschlagen“, erzählt Philipp Berzbach. Warum? Pelster: „Weil wir einfach besser sind!“ Altersweisheit schlägt jugendlichen Elan. Schließlich gibts die Roten Sterne schon seit mehr als 20 Jahren, das macht summa summarum mehrere hundert Jahre Spielpraxis, gegen die die Vibratoren anrennen mußten. Beim Meisterschaftsderby allerdings endlich mit Erfolg, was aber praktisch nur an einem taktischen Fehler der Sterne lag, der voll auf Pelsters Kappe ging. Der hatte die Parole ausgegeben: ein Libero, eine Dreierkette im eigenen Strafraum, eine weitere Dreierkette davor, zwei Mittelfeldspieler in der eigenen Hälfte, und am Mittelkreis lauert ein Stürmer. Pelster: „Die haben das nur falsch verstanden.“ Wobei der Verdacht aufkommt, daß es sich eher um altersbedingte Bequemlichkeit gehandelt hat. „In der Mitte war Matsch, und deshalb sind alle nach außen ausgewichen.“ Genug Platz für Vibrator, das Spiel endete 3:0.

Fast hätten die Sterne noch ein Tor geschossen, wenn, ja wenn nicht ausgerechnet wieder Pelster im Vibrator-Strafraum in einen Schuß seines Mitkickers getrudelt wäre und den mittels sowohl der Ober- als auch der Unterlippe abgewehrt hätte. Resultat: Pelster sah Sterne, schmeckte Blut, mußte vom Platz und eine Runde aussetzen. So hätte der Rote Stern fast die Gegentrefferquote der Vibratoren verdoppelt, denn: Im gesamten Turnier kassierte der spätere Meister gerade mal ein Gegentor, vom Elfmeterschießen gegen die legendäre Kölner Truppe „Petermann Stadtgarten“ abgesehen.

Überhaupt, die Taktik: Wer glaubt, die Alternativkicker trotten auf den Platz und bolzen einfach drauflos, der irrt gewaltig. Da werden die Gegenspieler genau studiert, da wird auf dem Platz reichlich diskutiert. Bertzbach: „Also taktisch habe ich in den Jahren ziemlich viel gelernt.“ Wobei sich allerdings generationenbedingte Unterschiede breitmachen. Während die junge Vibrator-Mannschaft noch die Luft zu haben scheint, das Gelernte auch umzusetzen (Bertzbach: „Wir sind gerannt wie die Blöden.“), regiert beim Roten Stern eher der Altersstarrsinn. Pelster: „Was willst du auch in die alten Köpfe noch reinbimsen? Was die mit 35 noch nicht gelernt haben, das lernen die mit 36 auch nicht mehr.“

Was aber – vom fußballerischen Vermögen mal abgesehen – für die Alternativmeisterschaften auf alle Fälle frisch bleiben muß, das ist die Fähigkeit zum Entertainment. Gewinnen wollen alle, und die Gewinner dürfen auch im folgenden Jahr wieder mitmachen. Aber wer zu den Turnieren sonst noch eingeladen werden will, der muß schon einiges an Hirnschmalz auf die Bewerbung verwenden. Im letzten Jahr hatte Vibrator erheblichen Erfolg mit einem Mannschaftsfoto, auf dem nur die Spielerwaden zu sehen waren. Motto: „22 Gründe gegen Lothar Matthäus“. In diesem Jahr schickte die Mannschaft einen Stapel Sprengel-Schokoladentafeln. Und wie weiland, als Sprengel noch Fußball-Sammelbildchen mitlieferte, wurde in jede Packung ein selbstklebendes Vibrator-Sammelbildchen eingelegt: die Jungs wie frisch aus einem Kaurismäki-Film. Der Rote Stern hat in diesem Jahr mit einem auf Holländisch geführten Interview mit Aad de Mos geglänzt. Aber die Bremer Traditionsmannschaft hat sowieso einen Bonus unter den Alternativkickern. Als Ausrichter des Turniers vor zwei Jahren wissen sie alles, was man über Organisation wissen muß. Da wird man gerne wieder eingeladen.

Wobei Pelle Pelster Wert darauf legt, daß der Rote Stern in diesem Jahr den siebten Platz gemacht hat. Und das war das beste Ergebnis überhaupt. „Schwarz auf weiß taz Berlin“ landete übrigens wie in den Vorjahren auf einem grandiosen 21. Platz.

Jochen Grabler