„Der Welt ein Beispiel geben“

Südkorea luchste Japan einen Teil der Fußball-Weltmeisterschaft 2002 ab. Die gemeinsame Ausrichtung der Veranstaltung durch die beiden „Erzfeinde“ wird zum diplomatischen Eiertanz  ■ Aus Seoul Georg Blume

Mit Respekt schaut Joachim Löw aus Stuttgart in die Runde des halbbesetzten Ga-Dong-Stadions von Suwon. Wo sich ein ordentlicher Bundesliga-Trainer einst am Ende der Welt gefühlt hätte, nämlich in einer südkoreanischen Provinzarena vor spärlichem Publikum, schwant dem Co-Trainer des VfB Stuttgart plötzlich Großes: „Heute ist ein historischer Tag für den Fußball. Jetzt wissen wir, daß die WM nach Asien kommt“, sagt Löw, bevor er zu einer Lobeshymne auf den südkoreanischen Fußball ansetzt: agil, wendig und schnell sei der, und geprägt von einem unbändigen Siegeswillen. Kein Zweifel für den Deutschen: „Korea hat die WM verdient.“ Als kurz darauf die Kicker des VfB gegen die südkoreanische Nationalmannschaft auflaufen, schwant dem Trainer schon Schlimmes: „Wir werden Mühe haben“, prophezeit Löw. Und auf der Ehrentribüne in Suwon scherzt der deutsche Botschafter: „Beim vierten Tor der Koreaner gehe ich.“

Wie kommt es, daß plötzlich alle Welt an die Tugenden des südkoreanischen Fußballs glaubt? Liegt es an jener Begegnung in Dallas bei der WM 94, als die Südkoreaner ein deutsches Team, das bei einer Führung von 3:0 und Temperaturen über 40 Grad nur noch an die Kabinen dachte, 45 Minuten lang an die Wand spielten? Oder liegt es an der FIFA-Entscheidung vom vergangenen Freitag in Zürich? Zur Überraschung der meisten Experten sicherte sich Südkorea jetzt gemeinsam mit dem Favoriten Japan die Austragung der WM im Jahr 2002. Womit das Spiel der Stuttgarter in Suwon schon vor dem Anpfiff seinen Zweck erfüllt hat. Denn VfB-Präsident Mayer- Vorfelder gehörte in Zürich zu den aufständischen europäischen Funktionären, die einen japanischen Alleingang unter Regie des brasilianischen FIFA-Präsidenten Joao Havelange verhinderten. Das südkoreanische Pokerspiel machte sich bezahlt: Vor den Stuttgartern hatten bereits Juventus Turin, der AC Mailand und die schwedische Nationalelf lukrative Auftritte in Südkorea. Und natürlich sagten anschließend alle, daß Südkorea eine große Fußballnation sei.

Die Wirklichkeit ist komplizierter. „Millionen von Koreanern aller Alterstufen spielen Fußball. Jeden Sonntagmorgen treffen sich die Familien zum Spiel“, versprach die koreanische WM-Werbung in einer Broschüre, die erst vergangenen Freitag mit der International Herald Tribune um die Welt ging. Doch warum spielte dann gestern in Seoul niemand Fußball?

Der Fußballplatz der Chungkyong-Oberschule in Seoul wird am Sonntag morgen nur von ein paar Basketballern genutzt. Von den drei zentralen Sandplätzen am Ufer des Han-Flusses ist wenigstens einer besetzt: Die Veteranen einer Mittelschulklasse aus dem Provinznest Chungju treffen sich zum Senioren-Kick. Einer von ihnen ist Song Yong-Su, 41, Leiter eines Sportclubs in Seoul: „Wir freuen uns über die WM, aber der Fußball in Korea hat es schwer. Wir haben kaum geeignete Plätze, und die Jugendlichen spielen Basketball, weil das für sie in den Städten leichter ist“, sagt Song. Für den Sportlehrer erklärt das auch die Unpopularität der südkoreanischen Profiliga, deren Spiele im Fernsehen nur selten übertragen würden. Nicht viel anders sieht es Meng Oan-Ho, der Programmleiter des Goethe-Instituts in Seoul: „Die Koreaner sind nicht fußballbegeistert. Basketball und Baseball sind ihnen viel wichtiger.“ Warum aber reisen dann die besten europäischen Mannschaften nach Südkorea, warum kommt die WM trotz der japanischen Konkurrenz hierher?

Die Antwort gibt möglicherweise die Sport-Tageszeitung Seoul Sports: „38mal um die Welt für die WM“ lautet dort eine Schlagzeile, unter der der Vorsitzende des südkoreanischen Fußballverbands, Chung Mong-Joon, beim Trinkgelage mit Fußballfunktionären in Malaysia abgebildet wird. Die Szene spricht Bände: Denn es handelt sich bei Globetrotter Chung um den sechsten Sohn des Gründers von Südkoreas größter Industriegruppe, Hyundai, und Chung wird in Seoul als kommender Präsidentschaftskandidat gehandelt. Von ihm heißt es, daß er für die WM nicht nur 38mal um die Welt reiste, sondern auch tief in die Kassen seines Konzerns griff.

Überraschen kann das keinen Südkoreaner, da schon Chungs Vater eine Heldenrolle bei der Olympiade von Seoul zukam. Vor der Abstimmung des Olympia-Komitees in Baden-Baden im Jahr 1981 hatte der damals mächtigste Industrieboß Südkoreas in letzter Minute dafür gesorgt, daß Seoul vor dem japanischen Nagoya den Vorzug erhielt. Ein zweifellos historischer Coup: Mit den Olympischen Spielen kam Ende der achtziger Jahre auch die Demokratie nach Südkorea. Im Licht des großen Sportereignisses konnten demonstrierende Arbeiter und Studenten die Diktatur in die Knie zwingen. Doch präsentieren sich nun unerwartete Folgen: „Weil schon die Olympiade politisch erfolgreich ausgebeutet wurde, sehen viele Politiker in der Fußballweltmeisterschaft eine Chance. Chung Mong-Joon ist durch die WM bereits sehr populär geworden“, sagt Meng.

Damit greift Chung in eine politische Porzellankiste: Denn das größte WM-Thema waren schon am Wochenende die koreanisch- japanischen Beziehungen. In Bevölkerungsumfragen sind sich beide Nationen der „Feind Nummer Eins“. Doch plötzlich reden Seoul und Tokio von „Partnerschaft“. Was in den 50 Jahren nach Ende der grausamen japanischen Kolonialherrschaft über Korea nicht gelang, nämlich eine Aussöhnung mit der Vergangenheit, soll nun der Fußball bewältigen: Präsident Kim Young Sam und Premier Ryutaro Hashimoto wollen „der Welt ein Beispiel geben“, ließen die Regierungssprecher nach einem Telefongespräch der beiden Regierungschefs verlauten.

Das Drama ist also bereits absehbar. Schon sorgen sich Tokioter Beamte, daß ihr Kaiser zur WM- Eröffnung nach Seoul reisen muß, was er noch nie getan hat, und was in Japan als absolutes Tabu betrachtet wird. „Wenn es nicht gegen Japan gegangen wäre, hätte sich die Politik nicht eingemischt“, erläutert der koreanische Sonntagsfußballer Song Yong-Su. Mit Fußball hat das alles nichts zu tun. Das zeigte sich bereits in Suwon, als der VfB die Südkoreaner mit 4:3 schlug – ganz ohne Mühe, so wie es sich für die Verhältnisse in der Fußballwelt gehört, auf die die Politik keinen Einfluß hat.