Gewaltbereinigter Kiez

■ Das sogenannte Realistische als Störfall: Der Pilotfilm zur Krimi-Serie "Große Freiheit" verspricht allgenerationstaugliches Familienprogramm (19.25 Uhr, ZDF)

Die Geschichte beginnt mit einem stümperhaften Überfall auf eine Gruppe schwarzafrikanischer Frauen, die gerade damit beschäftigt sind, sich in der Kunst folkloristischer Tänze zu üben. Die zwei Angreifer werden jedoch in die Flucht geschlagen – und bekommen – soviel Güte gibt's nur im Fernsehen – sogar ihre Pistole zurück. Die Frauen rennen nun keineswegs zur Polizei (einige von ihnen haben keine gültigen Papiere), sie zeigen darüber hinaus auch keine besondere Erregung. Auch daß die beiden Männer ein Hakenkreuz an eine Glaswand schmieren, bringt die Damen nicht auf.

Aber es ist kein Krimi, der da im Pilotfilm zum Zehnteiler „Große Freiheit“ ausgebreitet wird, sondern nur ein Anlaß, daß wir, die Zuschauer, dranbleiben und nicht wegschalten, zur „Tagesschau“ beispielsweise. In Wirklichkeit versteht das ZDF den Film als Auftakt zu einer Familienserie. Da dürfen zuviel Blut und Verbrechen, Niedertracht und Mißgunst nicht vorkommen und sollen Tote und Verletzte nicht sein. Höchstens hie und da eine Schlägerei, Gewalt in homöopathischen Dosen sozusagen: Ein Projekt für alle Generationen verlangt das Höchste vom Stab, nämlich ein Rezept für ein Gericht, das alle mit zufrieden vollem Magen zurückläßt. Die erfolgreichsten Beispiele waren bisher „Diese Drombuschs“ oder auch „Die Unverbesserlichen“: Serien mit Traumquoten.

Die „Große Freiheit“ – Geschichtlein um dies & das – wird sich indes in diese Reihe nicht eingruppieren können, soviel steht zu vermuten. Dabei stört nicht, daß mit Peter Striebeck und Dominique Horwitz zwei Schauspieler die Hauptrollen bekleiden, die ihr Handwerk nun wirklich (und auch in diesem Fall) gut verstehen. Nein, es ist eher so, daß die Story um die Beziehung der beiden – der Ältere ein bandscheibenvorfallgeplagter Kommissar aus der berühmten Davidwache auf St. Pauli, der Jüngere ein krimibesessener Secondhand-Buchhändler aus dem gleichen Stadtteil – nicht trägt: Am Ende der zehn Folgen sollen sie, die sich anfänglich bei ihren Ermittlungen nur in die Quere kommen, zu echter Freundschaft gefunden haben. Allein: Heute abend wird nichts dafür getan, daß sich der Zuschauer genau für diese Frage interessieren könnte.

Das hätte anders sein können. Wenn, beispielsweise, Horwitz und Striebeck mit mehr Ironie hätten spielen dürfen, mit mehr Witz, womöglich auch kalauerhafter. Aber die Anspielung Horwitz', er wolle nicht Striebecks Harry Klein abgeben, reicht nicht aus, um – wenigstens mit ironischem Schmunzeln – den Fortgang des Films kaum erwarten zu können. Und ständig stört das sogenannte Realistische, der Ruf St. Paulis verpflichtet schließlich. Ständig laufen irgendwelche gedrungenen und immer Kapuzen tragenden Leute durchs Bild; dann brennt mal eine Mülltonne; plötzlich wiederum sieht man einen Rolls Royce, in dem vermutlich ein Waffenhändler sitzt, der die Tüte mit der Waffe entgegennimmt wie eine Tüte mit Tomaten; dann wieder sind die Heilsarmee und ihre Bataillone im Bild: nett, ja. Aber merke: Auf St. Pauli hat man zwar rund um die Uhr rotes Licht angeschaltet, doch im Grunde sind das alles auch nur Menschen wie du & ich.

Ärgerlich eigentlich, weil kaum unterhaltsam. An diesem Einwand ist dabei nicht wichtig, daß – Hamburger merken das sofort – die Kulissen nicht echt sind: In einer Minute kommt kein Mensch vom Elbufer zum Ende der Hein-Hoyer- Straße. Ist eben ein Film und keine „Tagesschau“. Eine derartige Kritik war schon einmal ermüdend, und zwar bei Dieter Wedels „Schattenmann“. Damals mußte sich der Regisseur tagelang mit dem Einwand herumschlagen, daß Undercover-Leute nie so arbeiten dürften wie seine Hauptfigur. Im Fall der „Großen Freiheit“ sähe das so aus, als würde man der Serie zum Vorwurf machen, nicht das echte, arme, melancholische und angstlustvolle St. Pauli als Imaginationsfläche des deutschen Spießesr zu zeigen.

Problematisch ist vielmehr, daß die Kulisse etwas verspricht – nämlich irgendeine Aufregung oder zumindest etwas Komödiantisches –, was der Plot nicht hält. Autor und Regisseur Christian Görlitz (Mitarbeit: Peter Striebeck), der schon „Unsere Hagenbecks“ drehte, konnte sich offenbar nicht entscheiden, was er nun eigentlich zeigen will. Und so ist aus den „Ermittlungen aller Art“ (Untertitel) ein nur noch wenig charmanter Kuddelmuddel geworden, wie man auf St. Pauli so sagt. Jan Feddersen