Habitat-Konferenz beginnt mit Eklat

■ Nach Polizeieinsatz gegen das Alternativforum drohen NGOs in Istanbul jetzt mit dem Abbruch des Habitat-Forums

Istanbul (taz) – Die heute beginnende UN-Städtekonferenz Habitat II steht vor einem Eklat. Vor einer Bauruine im Zentrum Istanbuls protestierten türkische und ausländische regierungsunabhängige Organisationen (NGOs) gegen das Vorgehen der Polizei. Für den Fall, daß die Provokationen nicht eingestellt würden, drohte die internationale NGO-Koordination mit einem Abbruch des Forums. Das NGO-Forum gehört neben Regierungs-, Parlamentarier- Unternehmer- und Gewerkschaftsforen zum offiziellen Programm der Habitat-Konferenz, die unter Hoheit der UN steht. Die Wahl der Bauruine als Austragungsort der Pressekonferenz hatte symbolischen Charakter. Ein Mensch war getötet und fünf weitere verletzt worden, als ein baufälliges Haus vor Beginn der Konferenz zusammenstürzte. Zur gleichen Zeit waren mit großem Kostenaufwand Bürgersteige entlang der Routen neu gepflastert worden, die Habitat-Teilnehmer frequentieren werden.

Bereits im Vorfeld der UN- Konferenz hatte die Polizei umfassende „Säuberungsaktionen“ gegen das alternative Habitat-Forum gestartet. Dort hatten türkische NGOs Ausstellungen und Veranstaltungen zu Vertreibungen in den kurdischen Regionen und Menschenrechtsverletzungen organisiert. Der Veranstaltungsort „La Bella“ war am Freitag von mehreren Dutzend Polizisten gestürmt worden. „Mit diesem Angriff ist der Staat auf frischer Tat ertappt worden. Sie befürchten, daß wir der internationalen Öffentlichkeit die Wahrheit über abgebrannte Dörfer und Vertreibungen mitteilen“, sagte der Vorsitzende des Istanbuler Menschenrechtsvereins, Ercan Kanar.

Auch das offizielle NGO-Forum in der Technischen Universität Istanbul wurde von türkischen Zivilpolizisten observiert. Uniformierter türkischer Polizei ist der Zutritt zum Gebäude nicht gestattet. Doch die bewaffneten Zivilpolizisten sollen türkische NGOs abschrecken. „Herr Töpfer sollte sich als Bundesbauminister im Rahmen der Habitat-Konferenz dafür einsetzen, daß die Behinderungen der NGO-Aktivitäten durch den türkischen Staat unterbunden werden und die Fortführung alternativer Veranstaltungen sichergestellt werden“, fordert Doris Sibum vom Forum Umwelt und Entwicklung.

Die Behinderung trifft selbst Abgeordnete, die im Rahmen Habitat II am Parlamentarier-Forum teilnehmen. „Barsch und unfreundlich“ verhörten türkische Polizisten die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Claudia Roth, nachdem sie eine Pressekonferenz abgehalten hatte. Sie sollte Auskunft über den Inhalt der Pressekonferenz geben, welche die Polizei verpaßt hatte. „Was ist los in einem Land, wo Menschen verschwinden, Millionen auf der Flucht sind und Schriftsteller vor Gericht stehen, weil sie ihre Meinung gesagt haben.“ Es müsse die Frage aufgeworfen werde, ob es Sinn mache, die offiziellen Aktivitäten fortzusetzen, sagte Claudia Roth.

Der wöchentliche stille Protest von Angehörigen Vermißter und in Polizeihaft Getöteter im Stadtteil Galatsaray stand am Wochenende ganz im Zeichen der Konferenz. Angesichts der Teilnahme mehrerer hundert ausländischer Vertreter und der Präsenz von Medien vermied es die Polizei jedoch, die Sitzaktion zu behindern.

Unklar ist, ob die türkischen Behörden auch ein Kriegsmigranten- Forum im Marmara-Hotel, das heute beginnt, verhindern werden. Die Initiative wird vom Menschenrechtsverein, kurdischen Organisationen, Pazifisten und linken türkischen Parteien unterstützt und von den Grünen im Europaparlament gesponsert. Vertriebene Kurden, die Zuflucht in der Stadt gefunden haben, werden berichten. Der Umstand, daß „Recht auf Wohnen“ auf einer UN-Konferenz diskutiert wird, ist für den Staat kein Grund, Vertreibung und Zwangsevakuierung zu beenden. Zeitgerecht zur Konferenz wurde bekannt, daß Militär das Dorf Kurucayir in der kurdischen Provinz Diyarbakir räumen ließ. Die 60 Häuser wurden abgebrannt. Bernd Pickert