Planetarer Auftrag für die Nato

■ Heute beginnt die Nato-Frühjahrstagung in Berlin: Es ist die Weichenstellung für eine weltweite Interventionsfähigkeit

Genf/Berlin (taz) – Mit Beschlüssen über eine veränderte Strategie sowie neue Streitkräfte- und Kommandostrukuren werden die Außenminister der 16 Nato- Staaten heute auf der ersten Tagung der westlichen Militärallianz in Berlin wesentliche Weichen stellen: für eine künftige weltweite Operations-und Interventionsfähigkeit. Diskutiert, aber mit Rücksicht auf den US-Präsidentschaftswahlkampf noch nicht entschieden, werden soll auch über eine etwaige Verlängerung des Mandats der internationalen Friedenstruppen (Ifor) in Bosnien.

Morgen wollen die 16 Außenminister mit ihren Amtskollegen aus 27 Staaten Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion zusammenkommen, die am Nato-Programm „Partnerschaft für den Frieden“ beteiligt sind und von denen bislang 14 das Interesse an einem Nato-Beitritt geäußert haben.

Der bislang ausschließliche offizielle Auftrag der Nato, die Verteidigung des Nato-Territoriums gegen einen Angriff aus dem Osten wird nicht völlig aufgegeben. Er rückt in den neuen Strategiepapieren aber an die zweite Stelle. Hauptaufgabe wird künftig die Erledigung „konstruktiver Aufträge“ weltweit: „Krisenmanagement“, „Friedenserhaltung“ und „Friedenserzwingung“. Zur Erledigung entsprechender Beschlüsse des UNO-Sicherheitsrates dient sich die Nato mit ihrer veränderten Strategie ausdrücklich an. Bedingung ist allerdings, daß nach Übernahme eines UNO-Auftrages das Kommando und die Kontrolle über den militärischen Einsatz bei der Nato verbleiben. Schließlich behält sich die Nato die Entscheidung über die Veränderung und Eskalation eines im UNO-Auftrag durchgeführten Einsatzes (zum Beispiel der Übergang von der „Friedenserhaltung“ zur „Friedenserzwingung“) oder über dessen Abbruch vor.

Eine Beschreibung konkreter „Gefahren“ oder „Bedrohungen“ wird in dem neuen Strategiedokument vermieden. Dies soll der Nato künftig größtmögliche Handlungsflexibilität erlauben. Ausdrücklich benannt als Nato-Aufgabe wird allerdings die sogenannte „military counterproliferation“ – gemeint ist die Bekämpfung der Weiterverbreitung atomarer, chemischer und biologischer Massenvernichtungswaffen sowie ballistischer Raketen, notfalls auch mit militärischen Mitteln. Die Nato schließt nicht aus, zu diesem Zweck auch mit Atomwaffen zu drohen oder diese gar einzusetzen.

Die Herstellung größtmöglicher Flexibilität ist das Hauptziel der Umstrukturierung der Streikräfte- und Kommandostrukturen. Geschaffen werden sogenannte „Combined Joint Task-Forces“ (CJTF). „Combined“ steht für multinationale Zusammenarbeit, „joint“ für den koordinierten Einsatz von Luft-, Land- und Seestreitkräften. „Task forces“ steht für die je nach ihrer Aufgabe spezifische Zusammensetzung der Streitkräfteeinheiten. Als Modell gilt die in Bosnien eingesetzte Ifor- Truppe.

Das operative Kommando wird dezentralisiert auf vier oder fünf Generalstäbe, die ihre Hauptquartiere an verschiedenen Orten des Nato-Gebietes haben. Jedem dieser Generalstäbe werden verschiedene hochmobile Einheiten der Nato-Länder in der Stärke von jeweils rund 30.000 Mann zugewiesen. Bricht irgendwo in der Welt eine Krise aus, die die Interessen aller oder einiger Nato-Staaten berührt, müssen die politischen Führungsorgane (in der Regel der Rat der 16 Nato-Botschafter) einstimmig über eine Intervention entscheiden.

Während die Nato und alle ihre Mitgliedsregierungen bislang offiziell am beschlossenen Abzugsdatum für die Ifor im Dezember 1996 festhalten, werden im Brüsseler Hauptquartier und in Washington, Bonn, London sowie Paris hinter verschlossenen Türen längst verschiedene Alternativen diskutiert: von der Verlängerung des Mandats für die Ifor in ihrer bisherigen Zusammensetzung über einen weitgehenden Abzug lediglich der US-Truppen bis zur Formulierung eines völlig neuen Mandats für eine künftige internationale Präsenz. Doch mit Rücksicht auf Bill Clinton soll möglichst bis zu den US-Präsidentschaftswahlen Anfang November an der bisherigen offiziellen Abzugsplanung festgehalten werden.

Mit Rücksicht auf Bedenken Moskaus und auf die dortigen Präsidentschaftswahlen am 16. Juni wollen die Nato-Außenminister bei ihren morgigen Gesprächen mit ihren 27 Amtskollegen aus Osteuropa auch jegliche Konkretionen zum Thema „Ostausdehnung der Allianz“ vermeiden. Dies soll frühestens auf der Herbstsitzung der Außenminister geschehen. Andreas Zumach