Wahlergebnis hinterläßt Ratlosigkeit in Tschechien

■ Mit dem guten Abschneiden der Sozialdemokraten beginnt jetzt in Prag die Suche nach Mehrheiten für eine Regierungsbildung. Und die dürfte schwierig werden

Prag (taz) – „Klaus siegt knapp“, betitelte die tschechische Boulevardzeitung Blesk ihre Sonntagsausgabe. Ohne Frage: Die ersten Parlamentswahlen in der Tschechischen Republik nach der Teilung des Staates 1993 ist überraschend knapper ausgefallen als allgemein erwartet. Vor allem mit einem Zuwachs für die Sozialdemokraten auf 26,4 Prozent hatte keiner gerechnet. Ratlosigkeit herrscht nun an der Moldau.

Premierminister Václav Klaus ist sichtlich enttäuscht. Siegessicher hatte er seine Wahlkampagne geführt und auf die wirtschaftlichen Erfolge seiner vierjährigen Regierung gesetzt: niedrige Arbeitslosigkeit, steigende Industrieproduktion, weit fortgeschrittene Privatisierung und die Aufnahme in die OECD als erster postkommunistischer Reformstaat. Doch bei all den wirtschaftlichen Erfolgen dieser Marktwirtschaft ohne Adjektive blieb die soziale Absicherung der Bevölkerung zurück.

Vor allem auf diese Themen hatten denn auch die Sozialdemokraten im Wahlkampf gesetzt. Mit Erfolg, wie es scheint. Insbesondere in den Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit konnten die Sozialdemokraten, die sich 1990 wiedergründeten, zulegen. Im nordböhmischen Industriegebiet mit den meisten Arbeitslosen liegt die Zeman-Partei den vorläufigen Ergebnissen zufolge bis zu 10 Prozent vor der ODS. In der Hauptstadt Prag dagegen, die am meisten von den Veränderungen profitiert, erzielte die ODS mit rund 40 Prozent einen eindeutigen Sieg.

Als einzige Möglichkeit scheint nun nur die einer Minderheitenregierung zu bleiben. Denn eine große Koalition haben sowohl ODS als auch Sozialdemokraten bereits eindeutig abgelehnt. Doch die Koalitionsverhandlungen können kompliziert werden, da die bisherigen beiden kleineren Koalitionsparteien vor den Wahlen wiederholt das arrogante Auftreten der ODS kritisierten. Gerade diese Meinungsverschiedenheiten innerhalb der bisherigen Regierung haben Beobachtern zufolge mit dazu beigetragen, daß das Ergebnis der Koalition schlechter ausgefallen ist als erwartet.

Nun beginnt in der tschechischen Hauptstadt die eigentliche Arbeit, um eine Mehrheit zusammenzuzimmern. In den Parteizentralen wird heftig verhandelt, in der Gerüchteküche brodelt es. Unterschiedliche Spekulationen machen die Runde. Staatspräsident Václav Havel will sich erst heute zu den Wahlergebnissen äußern, seine Aufgabe wird es auch sein, den neuen Premierminister zu ernennen. Darüber, wann eine genau neue Regierung gebildet wird, wollte sich gestern mittag noch niemand konkret äußern. Katrin Bock