Koalition oder Konfrontation

■ In Tschechien droht nach den Wahlen ein Patt

Jetzt ist es also doch passiert. Monatelange war man davon ausgegangen, daß die dritten freien Wahlen nach der samtenen Revolution zu keiner wesentlichen Veränderung führen würden. Tschechien galt schießlich als das stabilste Land in ganz Osteuropa. Selbst die Aufholjagd der Sozialdemokratie unter Milos Zeman unmittelbar vor dem Urnengang nahm die konservative Regierung gelassen.

So sicher war man, daß sich viele Unentschlossene letztendlich für das bewährte Modell entscheiden würden. Nach dem mißlungenen dritten Weg des Prager Frühlings zeigt man sich vor allem in Prag konservativ: Keine Experimente. Aber nun muß es doch eines geben. Denn das Wahlergebnis macht deutlich, daß das Land von zwei etwa gleichstarken politischen Strömungen beherrscht wird.

Auf der einen Seite stehen jene, die für eine Marktwirtschaft ohne alle Adjektive eintreten. Auf der anderen jene, die auf Soziales nicht verzichten wollen. Sechs Jahre lang hat die überwiegende Mehrheit von ihnen bereitwillig den Gürtel enger geschnallt. Nun fordern sie mehr Staatsgelder für Kultur, Bildung und Ökologie.

Ministerpräsident Klaus und Zeman haben eilig eine Koalition ausgeschlossen. Doch so tief ist der Graben zwischen ihnen gar nicht. Schließlich hat Klaus, ganz im Gegensatz zu seiner Theorie, in der Praxis eine vollständige Liberalisierung der Preise verhindert.

Eine Koalition würde dem Land guttun. Die Einführung der regionalen Selbstverwaltung, die Klaus stets hintertrieb, wäre dann nicht mehr zu stoppen. Der Weg Tschechiens in die EU, den Thatcherist Klaus stets mit Skepsis begleitete, könnte von den Sozialdemokraten forciert werden. Das Klaussche Modell des wirtschaftlichen Umbaus aber kann auch Zeman nicht mehr ändern – und das will er auch gar nicht.

Setzt Klaus dennoch auf eine Minderheitsregierung, wird dies das geistige Klima entscheidend prägen. Zwar werden sich die linken Parteien dem Gesetzgebungsprozeß nicht grundsätzlich verschließen. Zugleich wird für sie jedoch klar sein, daß sie von der neu erstandenen Bourgeoise weiterhin als Parias betrachtet werden. Der Arbeitnehmerflügel der konservativen Regierungsparteien dürfte dies ähnlich sehen. Die nächsten Wahlen wird Klaus dann sicherlich verlieren. Sabine Herre