Sinnlos und unmenschlich

Es bedurfte einer Anhörung im Abgeordnetenhaus, um die Mißstände bei der Vertreibung von Obdachlosen aus Bahnhöfen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu rücken. Bei einer Diskussionsrunde in der Kaiser-Wilhelm-Kirche Ende März hatten sich die Verantwortlichen von Bundesgrenzschutz, Polizei und Deutsche Bahn AG gedrückt. Im Sozialausschuß des Abgeordnetenhauses kamen sie nun nicht mehr darum herum, Rede und Antwort zu stehen.

Es ist nicht nur unmenschlich, sondern auch vollkommen sinnlos, Obdachlose aus Bahnhöfen zu vertreiben und dann fern der Innenstadt einfach abzusetzen. Früher oder später werden sie dort oder woanders wieder auftauchen. Die Versicherung von BGS-Vertretern, daß die Aufgegriffenen in der Nähe von öffentlichen Verkehrsmitteln abgesetzt werden, ist purer Zynismus. Mag sein, daß es für diese Praxis eine Rechtsgrundlage gibt. Daß sich soziale Probleme nicht mit ordnungspolitischen Maßnahmen lösen lassen, müßte aber auch den Beamten von Bundesgrenzschutz und Polizei dämmern.

Dabei ginge es auch anders: Wer den weiten Weg nicht scheut, Obdachlose nach Friedrichshagen oder Köpenick zu verfrachten, könnte sie genausogut in einer nähergelegenen Notunterkunft oder Wärmestube absetzen. Wenn es nicht zu einer solchen Übereinkunft kommt, kann Obdachlosen nur noch geraten werden, mit den Mitteln des Rechtsstaates zurückzuschlagen und die Beamten wegen Freiheitsentzug im Amt anzuzeigen. Dorothee Winden

Siehe Bericht auf Seite 22