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Gehobenes Beziehungspingpong

Quickies in kreativer Isolation: Zum Auftakt des Heidelberger Stückemarkts wurde Elfriede Müllers „Lovekicks“ uraufgeführt. Das Festival will sich künftig verstärkt um neue Autoren und eine entsprechende Förderung kümmern  ■ Von Jürgen Berger

Ret ist ein Maler mit wild gestischem Duktus. Die Frauen stehen Schlange und wollen natürlich als erstes wissen, an was für einem Meisterwerk er gerade arbeitet. Das alles nervt ihn ungemein, denn nach jedem Quickie versinkt er sofort wieder in kreative Isolation. „Fuck. Fuck. Fuck. Ich wollte malen, malen, malen. Nicht quatschen!“ bellt er, wenn er wieder vor der Staffelei steht.

Ret ist eine der interessanteren Figuren in Elfriede Müllers neuem Stück, und vielleicht geht es der 40jährigen Autorin aus Oberhausen bei dieser Figur tatsächlich einmal um die Psychologie. Wie ist das mit dem kreativen Potential des Künstlers? Kann er nur arbeiten, wenn er sich abgrenzt, oder gefällt er sich lediglich in einer Pose? Allerdings – Elfriede Müller ist auch in diesem Fall nicht neugierig genug. Sie skizziert den wilden Maler en passant und läßt ihn lediglich die alltäglichen Banalitäten sagen, die man in deutschen Lofts, Vorstandsetagen und Ateliers von sich zu geben scheint. Ihre Spezialität ist eben doch das gehobene Beziehungspingpong.

Als vor vier Jahren „Damenbrise“ in Darmstadt aufgeführt wurde, ging das Spiel noch auf. Zum einen, weil sich Elfriede Müller als ausgebildete Tänzerin, Schauspielerin und Mitbegründerin des Berliner Theaters „Zum westlichen Stadthirschen“ im Milieu auskennt, über das sie schrieb – es ging um das Theater in einer Zeit, da es zu Staffage zu werden drohte. Zum anderen, weil der damalige Regisseur die Banalität der Figuren nicht banal inszenierte. Jetzt, in der Heidelberger Uraufführung von „Lovekicks“, klappt nichts mehr. Zum einen, weil Elfriede Müller sich nicht in den Milieus auszukennen scheint, die sie beschreibt. Zum anderen, weil die Uraufführungsregisseurin Sylvia Richter zu sehr an den Oberflächlichkeiten der Müller-Figuren hängenbleibt.

Daß die Passage im Künstleratelier denn doch heraussticht, hat vor allem mit Patricia Rapp zu tun. Sie spielt ein junges Mädchen, das dem Maler mit der existentialistischen Attitüde Paroli bietet. Ein Girlie mit orangegrellem Top, auf obligatorischem Hochplateau wandelnd. Eine der Zeitgeistfiguren in „Lovekicks“ und in der Inszenierung mehr als nur ein Abziehbild. Im Zentrum aber steht Bettina Buchholz als Evelyn Sobeck, eine Möbelschreinerin kurz vor dem Karrieresprung. Den ersten Großauftrag bekommt sie von Sauter (Peer Jäger), dem Broker für Feinkostwaren mit apartem Lagerfeld-Schwänzchen. Er liefert die delikatesten Schweinereien immer und überallhin, von Evelyn erwartet er mehr als rein geschäftliches Interesse. Die allerdings hat ganz andere Probleme: Noch nicht ganz dem WG-Milieu entwachsen, versucht sie sich als gestylte Geschäftsfrau, wogegen sich der Körper mit Migräne wehrt. Eine typische Alltagsdeformation.

Und all das, wie gesagt, brav inszeniert. Eine Idee zum Stück ist nirgendwo erkennbar, gestrichen wurden lediglich kleine Provokationen der Autorin, die niemanden provozieren: Das „Astloch“ im Stück Holz etwa, zu dem die Möbelschreinerin laut Selbstaussage wurde, nachdem sie einmal in ihrem Leben geliebt hat.

Die Premiere von „Lovekicks“ am Wochenende war auch Auftakt des Heidelberger Stückemarktes, den es seit mehr als einem Jahrzehnt gibt und dessen Auswahl bemerkenswerter Inszenierungen der Saison in den letzten Jahren etwas willkürlich wirkte. Seit dieser Spielzeit hat Heidelberg einen neuen Intendanten, und Volkmar Clauß führt den Stückemarkt mit neuem Konzept weiter.

Es gibt weiterhin Uraufführungsinszenierungen wie Roland Schimmelpfennigs experimentelles „Keine Arbeit für die junge Frau im Frühlingskleid“ von den Münchner Kammerspielen oder „Mordslust“ von Wilfried Happel in der Inszenierung des Hannoverschen Staatstheaters (eine postschwabsche Familiengroteske, die sich in den letzten Monaten zum Bühnenrenner entwickelte).

Daneben werden jetzt auch bisher noch nicht aufgeführte Stücke in szenischen Lesungen vorgestellt; eines von ihnen erhält Ende der Woche den Preis der Frankfurter Autorenstiftung. Und damit es nicht beim Lippenbekenntnis bleibt, bringt das Heidelberger Theater eines dieser neuen Stücke in der nächsten Saison zur Uraufführung. Mit von der Partie ist unter anderem „Halbwertszeiten“ von Dirk Dobrow, dessen Erstling „Diva“ gerade in Bochum uraufgeführt wurde – ein Mutter-Sohn- Dialog mit ödipal-onanistischem Einschlag. Und Lisa Engels „Mütternacht“, ein dezent absurdes Familiendrama mit zwei Töchtern, Mutter und Großmutter.

Für den intellektuellen Rahmen sorgen derweil Podiumsdiskussionen, etwa über die finanzielle Situation von Theaterautoren. Ob das Theater dabei tatsächlich die eigene Unfähigkeit thematisiert, bleibt abzuwarten. Ein Blick in die gerade veröffentlichte Statistik des deutschen Bühnenvereins für die Saison 1994/95 belegt die traurige Realität: Spitzenreiter in der Inszenierungshäufigkeit und damit auch in den Besucherzahlen sind Klassiker wie Skakespeares „Romeo und Julia“, „Faust“ natürlich und Lessings „Nathan“. Zeitgenössische Dramatik, wie sie jetzt in Heidelberg vorgestellt wird, findet sich auf den ersten 60 Plätzen nicht.

Elfriede Müller: „Lovekicks“. Regie: Sylvia Richter. Bühne und Kostüme: Esther Frommann. Mit Bettina Buchholz, Timo Ben Schöfer, Peer Jäger, Patricia Rapp, Dominik Warta u.a. Weitere Aufführungen: 7., 14. und 20. Juni.

Auf dem Stückemarkt werden Roland Schimmelpfennigs „Keine Arbeit für die junge Frau im Frühlingskleid“ (6. 6.) und Wilfried Happels „Mordslust“ (4. 6.) vorgestellt; die Lesungen neuer Stücke finden täglich statt.

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