Kritische Tifosi bejubeln auch die Gegner

■ Eine „Sechserbande“ schwärmt für Italiens Nationalelf. Aber die jungen Fans lassen den Azurri nicht alles durchgehen

Als „klassische“ Tifosi verstehen sich Matteo, Ettore, Ercole, Gianni, Carlo und Giampiera, die einzige Frau in der Gruppe, eigentlich nicht. Höchstens im ursprünglichen Sinn des Wortes: „Schwärmen, Partei ergreifen.“ Mehr aber nicht, wie Matteo, 18 und unbestrittener Anführer der „Sechserbande“, betont. „Wir haben unsere Mannschaft gern, sind immer für sie da“, sagt er. „Aber wir haben auch eine kritischen Distanz zu ihr und lassen nicht alles durchgehen.“ Also keine radikalen Anhänger? „Nein, wir sind keine Fans. Das Wort kommt von Fanatismus“, klärt er mit weiser Miene auf.

Matteo ist Gymnasiast, man erkennt es an der Sprache. Seine Welt besteht aus Etymologie, Dreisatz und Computersprachen, aber er organisiert auch Schulbesetzungen und Demos. Und nebenbei ist er eben Anführer der Fußballseilschaft. In dieser Funktion hat Matteo mit seiner Freundin Giampiera – „gegen den Willen unserer Eltern“, wie sie trotzig bekennen – einen alten Ford Transit gekauft und instandgesetzt. Nun ist die „Sechserbande“ auf der Reise zum Fußballereignis des Jahres, der EM auf der britischen Insel. „Da nehmen wir mit, was wir können“, verspricht Ercole, 21, der das Gymnasium schon hinter sich hat, aber noch keine Arbeitsstelle: „Die Welt ansehen hat ja auch sein Gutes.“ Ettore dagegen, 17, der seinen Eltern nur mit Mühe ihr Einverständnis zur Reise abgerungen hat, fährt „wegen unserer Azzurri hinüber – und wegen nichts anderem“.

Dennoch hat sich Ettore Matteos Anordnung gefügt: „Die Spiele unserer Mannschaft schauen wir nicht im Stadion an, sondern im Fernsehen“, hat der befohlen. Aus Kostengründen sind die sechs Tifosi ohne Eintrittskarten losgefahren und werden von Tag zu Tag entscheiden, wo sie hinkutschieren: „Auch zweitrangige Begegnungen können Weltklasse sein“, weiß Ettore, „besonders wenn man die Karten vorm Stadion nachgeschmissen bekommt.“

Giampiera, 18, schwarzgelockt und Klassenprima in der Berufsoberschule „Wirtschaft und Tourismus“, ist aus einem anderen Grund dabei. Sie muß eine Arbeit zum Thema „Auslandsverhalten von Tifosi“ schreiben. Sie will in England aber auch andere Fans studieren, „mit Ausnahme der Hooligans, die sind tourismustechnisch uninteressant“. Ansonsten kann sie sich durchaus vorstellen, „auch mal für die Holländer zu schreien, weil die vor zwei Wochen nach der Ajax-Niederlage gegen Juventus so friedlich geblieben sind“.

Matteo gefällt diese Einstellung nicht, und sie hat schon mehrmals eine Beziehungskrise ausgelöst. „Es muß doch klar sein, auf wessen Seite man steht“, sagt er. Daran ändert auch der „kritische Abstand“ zu den Azzuri nichts. Werner Raith, Rom