Danielle Mitterrand: Meine Rivalin war die Politik

■ Menschenrechtlerin und liebende Frau. Die Memoiren der Präsidentengattin

„Die heirate ich.“ Der Satz, ausgesprochen vor dem Geburtstagsfoto einer 18jährigen, hat in Frankreich Furore gemacht. Ausgesprochen hat ihn der junge François Mitterrand – „Morland“, wie er sich in der Résistance nannte. Die junge Frau auf dem Schwarzweißbild, die Mitterrand nie zuvor gesehen hatte, wurde wenige Monate später, im Oktober 1944, seine Gattin.

„Es geht alles zu schnell“, schreibt Danielle Mitterrand in ihren – jetzt auch auf deutsch erschienenen Memoiren – über jene Monate. Die junge Fraue aus der burgundischen Provinzstadt Cluny bereitet ihr Abitur vor, als der bereits in zahlreichen politischen Bewegungen erfahrene Mitterrand sie „entdeckt“. Durch ihren Vater, der wegen seiner Weigerung, jüdische Schüler und Lehrer zu denunzieren, aus dem Schuldienst entlassen wurde, ist sie in Kontakt zur Résistance gekommen. In ihrem Elternhaus finden konspirative Treffen statt, eine Freundin der Mutter wird verhaftet und zu Tode gefoltert. Die 18jährige Danielle erledigt Botengänge für die Résistance und versorgt Verletzte in einem Feldlazarett.

Der zielstrebige junge Mann läßt ihr nicht viel Zeit. Ihr Abitur hat Danielle Gouze nie gemacht. Kaum ist Frankreich befreit, steht sie neben François Mitterrand vor dem Altar. Noch am selben Tag begleitet sie ihn, im weißen Brautkleid, erstmals auf ein politisches Treffen. Im Jahr danach – Mitterrand ist Minister im ersten französischen Nachkriegskabinett – bekommt sie ihr erstes Baby. Es stirbt wenig später. Zwei weitere Kinder, zwei Söhne, folgen. Danielle Mitterrand kümmert sich zu Hause um sie. Bald gerät die einsame junge Frau in eine psychische Krise, aus der sie sich mit Handarbeiten als Buchbinderin flüchtet. Viele Jahre später wird Danielle Mitterrand selbst politisch aktiv – als Menschenrechtlerin. Durch ihre Stiftung „France libertés“ unterstützt sie Projekte in der Dritten Welt und erwirbt sich den Beinamen „Mutter der Kurden“. Als First Lady von 1981 bis 1995 setzt sie ihr Engagement fort, das nicht selten mit der französischen Außenpolitik kollidiert. Der Erlös ihrer Memoiren, die in Frankreich seit dem Erscheinen im März bereits mehrere hunderttausend Mal verkauft sind, fließt „France libertés“ zu.

„Meine Rivalin war die Politik“, schreibt Danielle Mitterrand über ihre Beziehung zu ihrem im Januar verstorbenen Mann. Wenn er eine Frau an seiner Seite brauchte, wie in seinem ersten Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 1965, nahm er sie mit. Ansonsten war er abwesend. Trotzdem ist Danielle stets loyal geblieben. Die Liebschaften und die Tochter mit einer anderen Frau nahm sie hin. „Wenn man sich gegenseitig von Herzen zugetan ist und aufrichtig beisammenzubleiben wünscht“, schreibt sie, „sind auch gelegentliche amouröse Abwege durchaus denkbar“. Im Französischen heißt der gleiche Satz weniger harmlos: „[...] sind getrennte Lieben denkbar.“

Französischen Linken, die sich angewidert von der Realpolitik des sozialistischen Präsidenten Mitterrand abwandten, galt die First Lady stets als die „echte Linke“ im Élysée-Palast. Zwischen ihren internationalen Auftritten an der Seite des Präsidenten versorgt sie die Flüchtlingslager der Befreiungsbewegung für die Westsahara, „El Polisario“, trotz der Proteste des marokkanischen Königs weiter. Sie empfängt den Dalai Lama, trotz deutlicher Drohungen der chinesischen Regierung. Und sie plädiert selbst in den USA für die Aufhebung des Embargos gegen Kuba und pflegt freundschaftliche Kontakte zu Castro. Während ihr Mann gute Beziehungen zu Ankara pflegt, lädt sie die kurdische Oppositionelle Layla Zana, die von den türkischen Medien bereits als „Terroristin“ diffamiert wird, zum Essen bei sich zu Hause ein.

„Armer François“, schreibt sie in ihrem Buch über die politischen Zwänge ihres Gatten. Doch Kritik an seiner Amtsführung, die mit einem starken rhetorischen Engagement für die Befreiungsbewegungen begann und nach zahlreichen bewaffneten Interventionen in der Dritten Welt endete, äußert sie nicht. Im Gegenteil: Sie hat ein Buch geschrieben, das alles, was ihr Gatte je getan hat, verteidigt.

Über ein halbes Jahrhundert nach der Begegnung, die ihr Leben bestimmte, ist Danielle Mitterrand das frische Mädchen aus der Provinz geblieben, das François vom Foto weg geheiratet hat. Eine Vertreterin des „guten Frankreichs“ – jenes der Résistance – die sich bis heute weigert, die historische Mitverantwortung ihres Landes für die Verbrechen in seinem Namen einzugestehen. Und vor allem: eine liebende Frau. Dorothea Hahn

Danielle Mitterrand: „Gezeiten des Lebens“. A. d. Franz. v. Hermann Kusterer, Econ Vlg. Düsseldorf 1996, 335 S., 39,80 DM