Strafanzeige nach Gasexplosion

Hat die Bahn AG gegen Gefahrgutverordnung verstoßen? Experten bezeichnen Transport als unüblich. Kritik am Katastrophenstab  ■ Aus Magdeburg Uwe Ahlert

Nach dem verheerenden Chemieunfall in Schönebeck vom Samstag hat der Bundesverband Bürgerinititativen Umweltschutz (BBU) bei der Magdeburger Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen die Verantwortlichen der Bahn AG eingereicht. „Es besteht der dringende Verdacht, daß die Bahn gegen die Gefahrgutverordnung verstoßen hat“, sagte BBU-Vorstandsmitglied Eduard Bernhard. Der BBU fordere schärfere Gesetze. In einer Novelle der Gefahrgutverordnung müsse festgeschrieben werden, daß zwischen je zwei mit gefährlichen, giftigen oder explosiven Gütern ein leerer Waggon gekoppelt werde, um Kettenreaktionen wie in Schönebeck zu vermeiden.

Am Samstag abend war ein Güterzug mit 18 Kesselwagen, voll mit hochgiftigem Vinylchlorid, aus noch unbekannten Gründen entgleist. Einer der Kesselwagen war dabei gegen einen Strommast geprallt, das herabfallende Stromkabel hat vermutlich zur Explosion des beschädigten Waggons geführt. Vier weitere Waggons gerieten durch die Explosion in Brand. Einer der Waggons brannte bis zum Montag morgen.

Fachleute haben erhebliche Kritik an den Maßnahmen des Katastrophenstabes unter der Leitung des Schönebecker CDU- Landrats Klaus Jeziorsky geübt. „Es ist völlig unverständlich, daß auf Evakuierungen verzichtet wurde, ohne daß es zuvor Schadstoffmessungen in den Wohnungen gegeben hat“, sagte die Wolfener Toxikologin Ursula Stephan. Landrat Jeziorsky verteidigte sich mit dem Hinweis, daß die Rauchwolke ständig kontrolliert worden sei und sich die Schadstoffwerte innerhalb der zulässigen Grenzwerte befunden hätten.

Auch nachdem der Wind gedreht und die Rauchgaswolke über zwei nahe gelegene Wohngebiete getrieben hatte, hatte der Krisenstab auf Evakuierungsmaßnahmen verzichtet. Gestern wurden lediglich zwei nahe gelegene Schulen geschlossen gehalten. Die Bevölkerung in den betroffenen Wohngebieten sollte sich vorsorglich ärztlich untersuchen lassen. Die Zahl der Verletzten ist auf insgesamt 21 gestiegen.

Drei Besitzer von Gartengrundstücken am Unfallort erlitten Brand- und Splitterverletzungen. Achtzehn Menschen, darunter sieben Feuerwehrleute, die den Brand zunächst ohne Schutzkleidung und -masken bekämpft hatten, erlitten Rauchgasvergiftungen und mußten ins Krankenhaus.

Fachleute der BASF, die noch in der Nacht zum Sonntag nach Schönebeck gekommen waren, um die Feuerwehr bei der Gefahrenabwehr zu unterstützen, sagten, daß es gerade wegen der hohen Gefährdungsklasse von Vinylchlorid unüblich sei, solche Transporte überhaupt noch durchzuführen. Verboten seien sie aber nicht.

Die Unfallstelle war gestern nach wie vor gesperrt, aber Augenzeugen berichteten von einem heillosen Chaos. Zehn nach wie vor mit dem hochgiftigen Stoff beladene Kesselwagen lagen angeblich noch auf dem Gleiskörper. Weiterhin unklar war, wie die brisante Ladung umgepumpt werden soll.