Nicht gleich die Amis rufen

Die 16 Außenminister der Nato-Mitgliedstaaten beschlossen in Berlin eine neue „Sicherheitsarchitektur“ für weltweite Interventionen  ■ Aus Berlin Wolfgang Gast

An Superlativen mangelt es nicht. Für den amerikanischen Außenminister Warren Christopher ist es ein „historisches Treffen“, sein französischer Amtskollege Hervé de Charette spricht von einem „großartigen Erfolg für Europa“. Der Bonner Außenamtschef Klaus Kinkel steht dem kein bißchen nach. Als Gastgeber der Nato-Frühjahrtagung in Berlin verkündet er: „Hier trifft sich die neue Nato.“ Neu, das ist die beschlossene „Flexibilisierung“ der Bündnisaufgaben, die größere Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit für die europäischen Allianzmitglieder. Mit Neuheit ist auch die Rückkehr Frankreichs in die Nato gemeint.

Die neue alte Nato, das waren gestern im Berliner Interconti die Außenminister der 16 Bündnisstaaten. Nebst ihrem Troß, streng von der Öffentlichkeit abgeschieden, finden sie Platz an einem riesigen himmelblauen Tisch, einem akkuraten Nachbau des Möbels in der Brüsseler Nato-Zentrale. Gezimmert wird an einer neuen „Sicherheitsarchitektur“, an einem „Eckpfeiler für die Sicherheit und Stabilität des im Bau befindlichen gemeinsamen europäischen Hauses“.

Ganz einfach war die Arbeit nicht, denn erst wenige Stunden vor Tagungsbeginn hatten sich die Außenminister auf ein gemeinsames Kommuniqué einigen können. Dieses Kommuniqué wird Kinkel wenige Stunden später als ein „eindrucksvolles Papier“ würdigen. Als ein „Berliner Signal“ und als Erfolg, an dem die Deutschen Anteil nahmen. Das Zustandekommen der Erklärung, sagt Kinkel mit einer Spur zu dick aufgetragener Bescheidenheit, sei „nicht zuletzt auch ein klein wenig unser Verdienst“.

So intensiv wie die Beratungen waren auch die Vorbereitungen der Sicherheitskräfte. Straßenzüge rund um den Versammlungsort waren bereits am Vortag gesperrt worden, der Einlaß in den Sicherheitsbereich erfolgt nur mit Spezialausweis und nach der Durchleuchtung aller Gepäckstücke. Auch das Pressezentrum auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist abgeschirmt. Dort dominiert als Eindruck: Nato pur. Der fußballfeldgroße Raum im Untergeschoß mit zwei eigens installierten riesigen Übertragungsleinwänden und mehreren hundert Arbeitsplätzen für die Journalisten aus aller Welt versprüht den Charme einer unterirdischen Kommandozentrale.

Getagt wird hinter verschlossen Türen, Erklärungen gibt es nur bei sogenannten „national briefings“. Zum ersten Mal, sagt Frankreichs Außenminister de Charette beim französischen, hätten die Europäer ihre „eigenen Interessen artikuliert“. Und deshalb sei die Grande Nation nunmehr bereit, ihren Platz in dieser „neuen Nato“ einzunehmen. De Charettes „eigene Interessen“ beschreibt Amtskollege Kinkel wenig später als „neues Konzept abtrennbarer, aber nicht getrennter militärischer Optionen der europäischen Bündnispartner“. Die Europäische Union solle künftig „eigenständige Operationen“ durchführen können. Vorbei sein sollen die Zeiten, „daß wir jedesmal unsere amerikanische Freunde zu Hilfe rufen müssen, wenn es irgendwo brennt“.

Der strukturelle Wandel des Bündnisses ist nur ein Gegenstand des Treffens. Darüber hinaus soll eine Halbzeitbilanz des Einsatzes der internationalen Friedentruppen (Ifor) in Bosnien gezogen und die Öffnung der Nato für neue Mitglieder aus Ostmitteleuropa erörtert werden. Letztere findet öffentlich nur in allgemeinen Floskeln Erwähnung („Kurs evolutionärer Erweiterung“). Unter anderem wegen des derzeit laufenden russischen Präsidentschaftswahlkampfes. Anders beim Ifor-Einsatz: Er wird unisono als großer Erfolg bezeichnet. Eine Wertung, in die schon mal paternalistische Züge einfließen. Zum Beispiel, wenn Klaus Kinkel im Zusammenhang mit dem bosnischen Friedensprozeß verkündet, man müsse den Konfliktparteien „beibringen, daß er für sie selber wichtig ist“.