Die neue alte Nato

■ Das Bündnis bleibt, was es war: eine Militärallianz

Alles, aber auch alles soll anders werden. Mit einem „Berliner Signal“, so Außenminister Klaus Kinkel, bläst die Nato aus den Tagen des Kalten Krieges zum kollektiven Aufbruch in die Zukunft. Eine „neue Nato“ – so lautet die Zielvorgabe. In Berlin werden keine weitreichenden Entscheidungen getroffen, aber sie werden vorbereitet. So die offizielle Lesart.

Die Wirklichkeit ist eine andere: Die 16 Nato-Außenminister billigten ein neues Grundlagendokument zur Militärstrategie der Allianz. MC 400/1 heißt es. Es wird geheimgehalten wie seine Vorgänger. Nicht einmal die Tatsache, daß es in Berlin gebilligt werden sollte, wurde vorab bekannt. Die neue Strategie erweitert das traditionelle Aufgabenfeld der Nato, die kollektive Verteidigung, um drei neue Bereiche: sogenannte friedensunterstützende Maßnahmen (vom Peacekeeping bis zur militärischen Friedenserzwingung), den Beitrag der Allianz zur Verhinderung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen und die Projektion von Stabilität nach Osten und Südosten. Erstmals seit 30 Jahren hat die Allianz damit wieder eine auch von Frankreich mitgetragene Militärstrategie. Sie erlaubt es, in fast allen denkbaren Krisenfällen flexibel zu entscheiden.

Diese Strategie und die in Berlin avisierte neue Kommandostruktur wurden entschieden, bevor künftige neue Mitglieder mitentscheiden können. Dies gilt auch für das Binnenverhältnis der europäischen Nato-Mitglieder zu den USA: Die europäischen Nato- Staaten sollen eine eigenständige militärische Handlungsfähigkeit in Krisen bekommen. Dieses Konzept erlaubt der WEU im Grundsatz den Rückgriff auf militärische Ressourcen der Nato – allerdings nur, wenn die USA dagegen kein Veto einlegen. Für Frankreich, dem auf diesem Wege eine Neuintegration in die militärischen Strukturen der Nato ermöglicht werden soll, kann dies lediglich ein unzureichender Zwischenschritt auf dem Wege zu einer europäischen Sicherheitsidentität sein.

Berlin, Signal für eine „neue Nato“? Sicher nicht. Die Nato bleibt, was sie immer war: eine militärische Allianz. Sie erweitert lediglich ihren selbstdefinierten Zuständigkeitsbereich inhaltlich und geographisch. Unangefochten bleibt sie wichtigster Eckpfeiler der europäischen Sicherheitsstrukturen. Otfried Nassauer