Der Friedensprozeß war ohnehin verloren

■ Der israelische Analytiker Israel Schahak über die Folgen des Wahlsieges von Netanjahu

Der Publizist Israel Schahak hat den Erfolg Benjamin Netanjahus vorhergesagt, als die Meinungsumfragen Peres noch 20 Prozent Vorsprung bescheinigten. Der 63jährige ist seit den 60er Jahren in der israelischen Menschenrechtsbewegung aktiv. Er ist einer der Überlebenden des Konzentrationslagers Bergen-Belsen.

taz: Für Sie war der Sieg Netanjahus unvermeidlich?

Israel Schahak: Die einzige Alternative wäre eine Art Bürgerkrieg gewesen. Nehmen wir an, Peres wäre mit dem Unterschied von weniger als einem Prozent gewählt worden – und das nur mit Hilfe der arabischen Wähler. Innerhalb einer Woche wäre eine Rebellion ausgebrochen, und es hätte Versuche gegeben, Peres umzubringen.

Was bedeutet das Wahlergebnis für den Nahost-Friedensprozeß?

Der war ohnehin verloren. Peres und Netanjahu haben die gleichen Absichten. Peres ist nur heuchlerischer. Das Oslo-II-Abkommen über die Ausweitung der palästinensischen Autonomie wurde unter Peres so gestaltet, daß Israel 70 Prozent des Bodens im Westjordanland behält. Das war nicht Netanjahus Idee. Die Siedler haben zugegeben, daß ihnen Rabin und Peres mehr Geld gegeben haben als die Likud-Regierung zuvor. Die Zahl der Siedler ist in den letzten vier Jahren unter der Arbeitspartei jährlich um zehn Prozent gestiegen.

Was wird Netanjahu in punkto Siedlungen unternehmen?

Sie werden wachsen, aber innerhalb des vorgegebenen Rahmens, also in dem, was nach dem Oslo-II- Abkommen als C-Gebiet beschrieben wird. Das ist der weitaus größte Teil des Westjordanlandes, der weiterhin unter voller israelischer Kontrolle steht. Es gibt viele Möglichkeiten, die bereits bestehenden Siedlungen zu vergrößern. Ich schätze, daß Netanjahu dort in den nächsten vier Jahren bis zu einer halben Million Menschen neu ansiedeln wird. Hinzu kommen neue Siedlungen rund um Jerusalem. Ich habe das Kapitel Friedensprozeß schon lange als abgeschlossen betrachtet.

Seit wann?

Seit dem Hebron-Massaker im Februar 1994. Danach gab es eine jüdische Mehrheit, die Siedler aus Hebron zu verbannen. Aber der damalige Ministerpräsident Jitzhak Rabin hat persönlich entschieden, nichts zu unternehmen. Rabin hat danach nur die Strategie der Kontrolle verändert. Mit dem Oslo-II-Abkommen wurde die direkte Herrschaft Israels durch eine indirekte Herrschaft mit Hilfe Arafats und seiner sogenannten Polizei abgelöst. Die Absicht war es immer, alles unter israelischer Kontrolle zu belassen. Das ist Konsens aller jüdischen Parteien in Israel.

Das Wahlergebnis ist fast ausgeglichen zwischen dem linken und dem rechten politischen Block. Aber 55 Prozent der jüdischen Wähler haben sich für den rechten und 45 Prozent für den linken entschieden. Der linke Block füllte die Lücke mit den arabischen Wählern auf. Ist der linke Block in Zukunft von den arabischen Wählern abhängig?

Der linke Block wird auseinanderfallen, weil er versagt hat. Was dann passiert, ist unklar. Vielleicht werden viele von ihnen nach rechts driften. Eines bleibt sicher: Es ist ein israelisches Dogma, sich nicht von den arabischen Wählern abhängig zu machen.

Wie wird Netanjahu mit den Arabern auf israelischem Staatsgebiet von 1948 umgehen?

So, wie eine neugewählte US- Regierung mit den Bundesstaaten verfährt, die gegen sie gestimmt haben. Er wird die Gelder und Dienstleistungen zurückhalten, die nicht gesetzlich vorgeschrieben sind. Da gibt es eine große Grauzone, etwa in der Frage, wo eine Fabrik gebaut werden soll.

Die religiösen Parteien haben von 16 auf 25 Sitze zugelegt. Was bedeutet das für die Zukunft?

Sie werden eine ganze Menge Geld bekommen. Die existierende Situation werden sie nicht verändern, aber sie werden sich allen gesetzlichen Neuerungen entgegenstellen. In den letzten Jahren gab es zum Beispiel einige Initiativen für die Rechte von Homosexuellen. Das dürfte nun beendet sein. Aber generell wird das begrenzt bleiben. Als Ehud Olmert mit der Hilfe der Religiösen Bürgermeister von Jerusalem wurde, wurde kein Restaurant geschlossen, und die Kinos können auch weiterhin am Sabbat Filme zeigen. Das wird auf nationaler Ebene nicht anders sein. Sie wissen, daß sie ein Eigentor schießen, wenn sie die bestehende Situation angreifen. Interview:

Karim El-Gawhary, Jerusalem