Neuauflage des Weimar-Prozesses

In Gießen wird das Verfahren gegen Monika Böttcher wiederaufgenommen. War sie es wirklich, die ihre beiden Töchter ermordet hat? Neue Zeugen treten auf, aber die Indizien sind dürftig  ■ Von Heide Platen

Heute wird im Saal 207 vor dem Landgericht nicht mehr gegen „Mutter Weimar“ verhandelt werden, sondern gegen die inzwischen geschiedene Monika Böttcher. 1987 hatte sich die heute 38jährige in Fulda schon einmal wegen Mordes an ihren beiden fünf und sieben Jahre alten Töchtern Karola und Melanie verantworten müssen. Damals war die Krankenpflegehelferin nach einem spektaklulären Verfahren, in dem schon die Beweisaufnahme für Unklarheiten gesorgt hatte, zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Der renommierte Hamburger Revisionsanwalt Gerhard Strate erstritt die Wiederaufnahme des Verfahrens. Monika Böttcher betont ihre Unschuld und bezichtigt inzwischen ihren damaligen Ehemann, Reinhard Weimar, der Tat. Im ersten Prozeß taten sich Böttchers Rechtsanwälte damals schwer, ihr Handwerkszeug der Verteidigung auch nur annähernd souverän zu beherrschen. Sie vertrauten eher darauf, daß ihre Mandantin freigesprochen werden müsse. Doch das Fuldaer Landgericht, das die Beweismittel gegen die Angeklagte auslegte, kam zu einem anderen Schluß.

Danach hatte die Frau am Vormittag des 4. August 1986 nach einer mit ihrem Geliebten verbrachten Nacht ihre beiden Töchter im Auto fortgefahren. Sie habe sie unterwegs erstickt und erwürgt und dann an zwei verschiedenen Stellen in Straßennähe „abgelegt“. Anschließend habe sie das Verschwinden der Kinder vorgetäuscht und eine tagelange Suchaktion ausgelöst. Bereits nach wenigen Tagen gerieten abwechselnd sie und ihr Mann in Verdacht. Später sagte sie aus, sie habe ihrem Mann gegenüber Schuldgefühle gehabt und ihn decken wollen.

Im Laufe der Ermittlungen zerstritten sich Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft, der zuständige Staatsanwalt wurde abgelöst. Die Kriminalpolizei hatte die Beweismittel, Wäsche und Kleidung, nur schlampig gesichert. Die Angeklagte, die im Prozeß steif und wortkarg wirkte, stand häufig unter dem Einfluß von Beruhigungsmitteln. Nachbarn machten von Anfang an widersprüchlichste Aussagen.

Rechtsanwalt Strate stützte sich in seinem Wiederaufnahmeantrag vor allem auf die Neubewertung der Indizien. Ein Fasergutachten im ersten Prozeß hatte ergeben, daß Monika Böttcher zur Todeszeit mit ihren Kindern Körperkontakt gehabt haben mußte. Neue Expertisen gehen davon aus, daß die Spuren ihrer gelben Bluse auch anderweitig an die Kleidung der Kinder gekommen sein können, etwa durch Kontakt zu anderer Zeit oder einfach durch die Waschmaschine. Außerdem hatten sich bei Strate mehrere Zeugen gemeldet, die aussagten, Reinhard Weimar habe ihnen mittlerweile gestanden, daß er der Täter gewesen sei, seine Frau daran aber Schuld trage. Der Mann, der sich psychiatrisch behandeln lassen muß, wird wegen Krankheit nicht als Zeuge geladen werden und sich als Nebenkläger von einen Anwalt vertreten lassen.

Ob die Aussagen der neuen Zeugen einer gerichtlichen Prüfung standhalten werden, wird von BeobachterInnen bezweifelt. Das Frankfurter Oberlandesgericht hatte im vergangenen Winter letztinstanzlich und gegen den Widerstand der Staatsanwaltschaft die Wiederaufnahme verfügt. Monika Böttcher war freigelassen worden, der Tatverdacht jedoch besteht weiter.

Schon im Vorfeld der Wiederaufnahme hat Rechtsanwalt Strate einen Befangenheitsantrag gegen die 6. Strafkammer in Gießen gestellt. Die nämlich hatte den Wiederaufnahmeantrag vor einem Jahr abgelehnt, weil sie die vier neuen Zeugen nicht für glaubwürdig hielt. Zu ihnen gehören eine Psychiatriepatientin und ein Hobbydetektiv.

Rechtsanwalt Strate wird es sich vermutlich ersparen, Reinhard Weimar die Schuld nachweisen zu wollen. Die Beweise gegen seine Mandantin, die im ersten Prozeß angeführt wurden, hätten im Zweifelsfall auch für die Angeklagte ausgelegt werden können. Der heute beginnende Prozeß soll ein Jahr dauern. Bislang wurden 40 ZeugInnen und zahlreiche GutachterInnen geladen. Ein Geständnis gibt es nicht, die Indizien sind nach wie vor dürftig.

Eine mediale Hexenjagd auf Monika Böttcher wird es diesmal nicht geben. Bild- und Tonaufnahmen im Gerichtssaal sind verboten. Auch die Frau selber, die sich zum Anfang des ersten Prozesses noch bereitwillig den Kameras stellte und ihre Geschichte vermarkten ließ, teilte mit, sie wolle weder fotografiert noch interviewt werden.