■ Die auf der Nato-Frühjahrstagung in Berlin bejubelte Europäisierung des Bündnisses steht und fällt mit der politischen Übereinstimmung der Europäer. Der Balkankonflikt jedoch hat gezeigt, daß sie ohne die USA kaum handlungsfähig sind
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Die auf der Nato-Frühjahrstagung in Berlin bejubelte Europäisierung des Bündnisses steht und fällt mit der politischen Übereinstimmung der Europäer. Der Balkankonflikt jedoch hat gezeigt, daß sie ohne die USA kaum handlungsfähig sind

„Neue“ Nato setzt Einigkeit voraus

Das gegenseitige Schulterklopfen auf der gestern zu Ende gegangenen Frühjahrstagung wollte kein Ende nehmen. Und ganz ohne Grund war der Optimismus ja nicht. Die Nato blickt auf ein erfolgreiches Jahr zurück. Ihr von Korruptionsvorwürfen belasteter belgischer Generalsekretär strich im Dezember endlich die Segel, an seine Stelle trat der umsichtige Spanier Javier Solana. Vor allem aber begeisterte sich die Allianz an ihrem historischen Bravourstück: dem größten Einsatz in ihrer Geschichte, der da heißt: „Friedenserzwingung“ und „Friedensbewahrung“ in Bosnien. In Berlin haben die 16 Außenminister des Transatlantischen Bündnisses nun noch einen draufgesetzt und nach eigenen Worten „eine neue Nato“ aus der Taufe gehoben.

Tatsächlich werden in Zukunft die Nato-Strukturen der neuen Aufgabenstellung angepaßt, in regionalen europäischen Krisen den Feuerlöscher zu spielen. Und zwar unter eigenem europäischem Militärkommando, das dann der politischen und strategischen Kontrolle der Westeuropäischen Union (WEU) untersteht. Das europäische Standbein der Nato hat aber nur eingeschränkte Bewegungsfreiheit. Denn alle Mitglieder des Nato-Rates, und eben auch die USA, müssen selbst bei einem Einsatz auf europäischem Boden ihre Zustimmung geben – unisono.

Wenn also die europäischen Staaten Ende 1996 zu der durchaus wahrscheinlichen Entscheidung kommen, daß in Bosnien auch weiterhin Nato-Truppen stationiert werden müssen, dann müßte die WEU sich die dafür erforderlichen Truppen praktisch bei der Nato ausleihen – mit Zustimmung der USA. Der Aufbau europäischer Verbände und eigener Kommandostrukturen innerhalb der Nato ist von den Außenministern in Auftrag gegeben worden.

Frankreich kehrt in die Nato zurück, um bei militärischen Einsätzen in Europa, die nicht von der UNO oder einer anderen internationalen Organisation durchgeführt werden, weiterhin dabeizusein. Und wird damit genauso zufrieden sein wie die Regierung in Washington. Die kann sich gerade angesichts des in den USA umstrittenen Einsatzes von US-Bodentruppen in Bosnien für die Wahlhilfe bedanken. Sie kann daheim verkünden, daß nicht mehr US- Boys ihren Kopf für die verdammten Streitigkeiten der Europäer hinhalten müssen und der US- Steuerzahler sich über eingesparte Dollars freuen kann.

Lange dürfte die Freude nicht anhalten. Denn die zweite neue Aufgabe, mit der die Nato ihre Existenzberechtigung unter Beweis stellen will, wird Milliarden verschlingen: die Osterweiterung. Sicherheit und Demokratie auch für Osteuropa, lautet die militär- politische Begründung der Nato hierfür. Spätestens Ende 1997 dürfte eine Entscheidung über die Aufnahme von Polen, Tschechien und Ungarn fallen. Die Nato stünde dann freilich auch vor der nicht ganz ungefährlichen Erwartung, sich gegebenenfalls in inter- ethnische oder Minderheitenkonflikte am Rande ihres so erweiterten Bündnisgebiets einzumischen.

Die jetzt so bejubelte Europäisierung der Nato steht und fällt jedoch mit der politischen Übereinstimmung der europäischen Bündnispartner. Der Balkankonflikt hat gezeigt, daß die „europäische Nato“ politisch zerstritten und ohne ihren Übervater USA gar nicht handlungsfähig ist. Georg Baltissen