Titanisches Welten

■ 22. Hamburger Ballett-Tage: Maurice Béjart choreografiert den ganzen „Ring des Nibelungen“ an einem fünfstündigen Abend

Der Ring des Nibelungen als komplexes Thema der Weltordnung, ein Mythos, in dem jede einzelne Figur symbolisch vielfach besetzt und gedeutet ist, bewegt die widersprüchlichsten Kräfte. Das Triebhafteste besitzt Willen, das Stärkste wird vom Trieb getrieben, Herrliches zeigt sich weiblich und Weibliches kühn.

In einem Gastspiel zeigte das Ballett der Deutschen Oper Berlin Den Ring um den Ring – Der Versuch einer Annäherung, choreographiert von Maurice Béjart. Zur Aufführung gebracht wird ein „Szenarium“ beginnend mit dem Rheingold. Verheißungsvoll erhebt sich aus dem Urschlamm der ungeordneten Elemente auf der Bühne eine kriechende schleimig-zappelnde Masse von zuckenden Körperteilen des Ballettensembles. Ein aggressiv überdeutlich intonierender Sprecher begleitet die wichtigsten Stationen mit der kraftvollen Sprachform. „Garstig glatter glitschiger Glimmer! Wie gleit ich aus! Mit Händen und Füßen nicht fasse noch halt ich das schlecke Geschlüpfer!“

Der finstere Alberich (Marek Rozycki) entwindet sich, in lüsterner Geilheit auf die Rheintöchter in flirrendem Tüll, seinem schleimigen Element. Loge (Bart De Block) tanzt als züngelndes, hüpfendes Flämmchen mit rotem Schopf in ungezähmter Kraft Pirouetten durch das Chaos. Im Kampf um den Ring reiht sich Kreatur an Kreatur. Fafner und Fasolt durchmessen auf riesigen Stelzen unter silbernen Stoffbergen den Raum, zwischen den Schrecklichen baumelt Freia als hilfloses Opfer in rosiger Weichheit kopfüber. Wotan als Inkarnation der Männlichkeit, gerade und markant im Lodenrock, beherrscht mit ruhigen kräftigen Bewegungen das Bild. Allein als Fricka in klassischer Choreographie Wotan zurechtweist, drängen die Figuren vor ihr an den Rand.

Schnell füllt sich die Bühne wieder nach der Geburt der Walküren. Den Untergang der gerade entstandenen Elemente deuten die sciencefictionhaftig ausgestatteten Walküren in schwarzen Lederbodys, geflügelten Helmen und zu Schlagstöcken verkürzten Besenstielen in einem furiosen Ritt an. Eine begeistert aufgenommene Version des ersten Teils.

Der lange Rest des Abends geriet dann wider Erwarten zu einer großen Enttäuschung. In überschaubarer Einfachheit präsentierte Béjart Siegmund und Sieglinde als Liebes-und Zwillingspaar. Das Thema Liebe wird als Eroberungs- und Zähmungsakt langausweitend interpretiert, mit einer bäuerlich geschürzten Sieglinde, die dem in zerissenen Jeans gestrandeten Siegmund zufällt. Tänzerisch und inhaltlich bleiben die Figuren schwach. Selbst Brünnhilde, Bildnis weiblichen Herrschaftsanspruchs, verliert sich in Béjarts Inszenierung zu einer lichten, trotzigen Schönheit, deren Technik zwar kraftvolle, sportliche Elemente aufweist, jedoch in keiner Sequenz einen herrschaftlichen, kriegerischen Anteil zugeeignet bekommt.

Im Siegfried spitzt sich dieses Thema bis zur Unerträglichkeit zu. Kräftig jagt, bezwingt und erobert er seine Aufgaben. Literweise fließt der männliche Schweiß der Helden und Unholde auf die Werkstattbühne und die kaum noch wahrgenommenen weiblichen Anteile göttlichen Schaffens. Das Thema Mann und Macht wiederholt sich. Der mittlerweile zusammengetragene Kostümmix vom Trenchcoat über Jeans bis hin zu Brokatbarock ermüdet die Augen und man wünschte sich statt bombastischem Aktionstheater einen kleinen Kreis ausgeleuchtet bekommen zu haben, einen Begriff vielleicht nur. Denn man ist nach fünf Stunden Ballett so matt.

Elsa Freese