■ Press-Schlag
: Das Publikum guckt in den Mond

Der öffentlichkeitswirksame Comebackfaktor von Monica Seles im Frauentennis ist erschöpft, und die neuen Gesichter sind die alten. Junge Talente, wie die 15jährige Schweizerin Martina Hingis, können sich (noch) nicht durchsetzen. Es dominieren die Arrivierten und Langeweile grassiert.

Was erfolgreich ist, ist auch gut, dachte sich zum Beispiel Arantxa Sanchez- Vicario und spielte ihrer Gegnerin Karina Habsudova im Viertelfinale der French Open drei Stunden lang „Mondbälle“ an die Grundlinie, um die Kontrahentin aus dem Rhythmus zu bringen, immer wieder so hoch wie der Eiffelturm. Die kleine Spanierin, 1989 – in einem denkwürdigen Finale gegen Steffi Graf – und 1994 Siegerin der French Open, wurde für ihr destruktives Spiel vom Publikum gnadenlos ausgepfiffen. Die Tennisfans, die eindeutige Sympathien für die um ein attraktives Spiel bemühte Slowakin Habsudova hegten, hätten an diesem Tag gerne die Höhe der Bälle reglementiert, so wurden ihre Nerven strapaziert.

„Mich kümmert überhaupt nicht, was die Zuschauer sagen“, meinte Arantxa hinterher trotzig und erläuterte, daß es ihr Job sei zu gewinnen, nicht die Zuschauer zu erfreuen. Daß die 23jährige Spanierin an ihrem eigenen Millionen-Dollar- Ast sägt, scheint sie nicht zu begreifen. Das Frauentennis steuert offenbar immer mehr in die Krise. Bezeichnend ist in Paris, daß über das gewagt geschnittene Tenniskleid einer Mary Pierce mehr geredet wird als über die Spiele der weltbesten Frauen.

Natürlich ist der Kraft- und Beschleunigungsfaktor geringer als bei den Männern, und die Schläge sind dadurch weniger spektakulär, aber dafür könnte das Spiel der Frauen variabler und intelligenter sein. Abgesehen von Steffi Graf, die alle Schläge beherrscht, und der allzuoft nervenschwachen Tschechin Jana Novotna, die klassisches Angriffstennis zeigt, dominiert weiterhin das spröde Grundlinienspiel, das sich seit beinahe zehn Jahren kaum weiterentwickelt hat. Ein effektiver Aufschlag spielt im Frauentennis nur eine untergeordnete Rolle. Gerade auf dem Sand von Roland Garros in Paris war es häufig für den Spielgewinn ohne jede Bedeutung, welche Spielerin aufschlug. Im Match Sanchez-Habsudova gab es mit 15 verlorenen Aufschlagspielen ein wahres „Breakfestival“.

Was tun? Mondbälle abschaffen? Auch die Spielerinnenvereinigung WTA, die nach langer, mühevoller Suche endlich wieder einen Tour-Sponsor gefunden hat, scheint ratlos. Abgeschafft, um angeblich größere Medienwirksamkeit zu erzielen, hat die WTA 1996 bei ihren Turnieren die Qualifikation. Damit verbaut man jungen Talenten erst recht den Weg nach oben, und die Sanchez- Vicarios bleiben unter sich, bis kein Publikum der Welt ihr Spiel mehr sehen will. Karl-Wilhelm Götte