Im Zeichen des Ozon

Total befreit: Porträts von Taifunen, Akte und Schädel im Sechsfarbenalphabet – auf Benedikt Müllers „Klimabildern“ besteht die Welt aus Energie  ■ Von Petra Welzel

1989 drohte „Hugo“, Florida in einem rasenden Tempo platt zu machen, und 1991 fegte „Andrew“ über das amerikanische Sonneneldorado mit ähnlicher Wirkung – nur schneller. Die Menschheit hat sich daran gewöhnt, Naturerscheinungen liebevoll Namen zu geben. Selbst wenn sie als Wirbelstürme, Taifune oder Hurrikans ihr Leben bedrohen.

bene ist kein Wirbelsturm, sondern die Signatur unter 30 Bildern, die in der Kasseler Kulturfabrik gezeigt werden. Denn bene heißt Benedikt Müller, ist Künstler und hat „Camille“, „Hugo“ und „Andrew“ porträtiert, um gleich zweierlei zu verkünden: die Natur rächt sich an der Menschheit mit Katastrophen, die sie durch vermeintlich intelligente Entwicklungen verzapft hat. Und er, bene selbst, habe die künstlerische Sprache gefunden, um gerade diese Zusammenhänge visuell erfahrbar zu machen. „Klimabilder“ nennt er deshalb seine Ausstellung, mit der er zur Zeit durch Deutschland tourt.

In der Ausstellung ist man zunächst überrascht. Alles sieht aus, als hingen entlang den Wänden hochkopierte Seiten aus einem GEO-Magazin – quietschbunte, im Durchschnitt ein Meter mal ein Meter und fünfzig große Acrylgemälde. Die Farbpalette ist immer dieselbe: Dunkelblau, Hellblau, Grün, Gelb, Orange, Rot und Weiß. „Mein Alphabet“, wie Müller es nennt. Bunter waren auch die Popartisten nicht, und mindestens genauso plakativ. Doch seine Motive sind Küstenstreifen aus der Vogelperspektive, Häuser, Schädeltomographien, Bäume, Pferdebeine und weibliche Akte. Nur nicht so, wie wir sie sehen.

„Alle Menschen sind behindert“, meint bene – nur nicht im medizinischen Sinne. „Trotz der entwicklungsgeschichtlichen Quantensprünge Sprache und Schrift“, sagt er, „ist das unmittelbare Sehen und die dadurch vermittelte Information überragend.“ Vor dem Sprechen war also das Sehen. „Nur, der Vorgang des Sehens unterliegt massiven Beschränkungen physiologischer Art, und diese Behinderung ist uns kein Mangel, sondern Gewohnheit“, erklärt er und meint damit, daß der Mensch nur das sieht, was er sehen will. Entgegen dieser Gewohnheit hat er deshalb zum Sechsfarbenalphabet und der Falschfarbenmalerei gegriffen, um den BetrachterInnen seiner Bilder zu zeigen, was sie nicht mehr erfassen: „Die Welt als Austausch von Wärme und Energie zu begreifen.“ Wäre es dann nicht folgerichtiger, Klimaschutz zu betreiben?

In seiner Malerei greift bene auf ein Verfahren der Naturwissenschaften zurück. Die Falschfarbenfotografie wird dort zur Umrechnung wissenschaftlich erfaßter Daten wie Temperatur, Ozon- oder Feuchtigkeitsgehalt der Luft und vieles mehr in Farbskalen und -bilder verwendet. Aus diesem Spektrum bezieht der Maler seine eigene Farbskala. Müller bezeichnet das als „erfolgreiche evolutionäre Wertschöpfung“. Kunst nur um der Kunst willen ist seine Sache nicht. Da sieht er sich eher dem anthropologischen Kunstbegriff von Beuys verpflichtet. „Es hat lange gedauert, um zu erreichen, daß Kunst alles darf. Die entscheidende Frage ist nun, was sie mit der Richtungslosigkeit dieser totalen Befreiung anfängt.“ Seine eigene Antwort darauf ist vorerst Klimaschutzpolitik auf ästhetisch äußerst ansprechende Weise.

„bene – Klimabilder“, bis 14. Juni Kulturfabrik Salzmann, Kassel; anschließend im Solarzentrum Freiburg