Die Abgänge sind schmerzlich

Es kommt zu Wortgefechten und Zungenküssen: „Jeffrey“ von Christopher Ashley ist die erste in Hollywood produzierte Komödie über Aids  ■ Von Harald Fricke

Bis jetzt endeten alle Filme über Aids mit dem Tod: In Jonathan Demmes „Philadelphia“ kämpft Tom Hanks als HIV-infizierter Yuppie-Anwalt für die Gleichberechtigung schwuler Lebensgemeinschaften – und stirbt am Ende doch an Aids. Cynthia Roberts läßt in „The Last Supper“ ihrem kranken Hauptdarsteller als letztes Mahl Räucherlachs und Ratatouille servieren. Auch Randal Kleisers „It's my Party“ endet im Krankenbett: Unter Tränen wird der dürre Architekt fortgetragen. Vom puritanischen Schmachtfetzen über Videokunst bis zur sorgsam dokumentierten Langzeitstudie gibt es inzwischen 50 Wege, Filme über Aids zu drehen. Das wirkt sich auf das Publikum aus und auch aufs Gemüt.

Machen wir also eine Komödie – mit mannhaften Fleischbergen, femininen Tucken, schwarzen Tänzertypen, „Pan-Asian Bisexuals“ und einem himmelblauäugigen Tausendschönchen, der aus Angst vor dem Virus vollends auf Sex verzichten will und doch nicht kann. So in etwa hat sich Regisseur Christopher Ashley die Story zu „Jeffrey“ gedacht und Paul Rudnick ans Drehbuch gesetzt. Schließlich war dessen homosexuelles Beziehungsstück bereits 1993 am Broadway sehr erfolgreich, was Rudnick zu Recht pragmatisch sieht: „In den ersten Jahren von Aids waren Humor, Sexualität, ja selbst Musik tabu, der Horror war einfach zu groß. Aber inzwischen sind diese Elemente wichtig. Da es noch keine Heilung für die Krankheit gibt, sind Wortwitz und Ironie unsere einzigen Waffen. Aids ist nicht das Ende von schwulem Leben oder schwulem Lachen.“

Nun gehören nicht bloß Diskussion, Selbstbewältigung und gut gemeinte Therapievorschläge dazu. Andererseits setzt Ashley den Humor ganz tief unten an. Der katholische Pater Dan (Nathan Lane, nach „Birdcage“ schon wieder in Kleidern) faßt seinen Schäflein bei der Beichte an den Popo; Cowboys und Kellner legen sich auf der Tanzfläche flach; Sklaven mögen ihre Herren nicht. Alles spielt sich rund um New Yorks Christopher Street ab, die im Studio noch bonbonfarbener, neonleuchtender und surrealer nachgebaut wurde, als das mittlerweile etwas abgewetzte Original mit seinen Pornoshops und Nepplokalen für Hetero-Touristen.

In dieser Welt lebt man wie auf einer Bühne. Die Vorhänge rascheln aufgeregt, die Abgänge sind schmerzlich: In Ashleys gut gelaunter HIV-Gemeinde tänzelt man zwischen Gay-Parade, Benefizparty, Oper und Intensivstation, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren: Geh'n wir zu dir, oder machen wir's hier? „I love sex“ ist gleich zu Beginn das Leitmotiv des Films. Dann gehen Silvesterknaller hoch und Männer vögeln, bis der erste Gummi reißt.

Kaum hat Jeffrey (Steven Weber) seinen letzten Lover von der Bettkante geschubst und Enthaltsamkeit geschworen, verliebt er sich im Fitneßstudio prompt in Steve (Michael T. Weiss), der besser als Antonio Banderas gebaut ist. Ein Lachs von einem Mann – und doch weichlippig, gesprächsfreudig und House-begeistert. Ganz Bonvivant. Es kommt zu anhaltenden Zungenküssen. Aber Steve ist HIV-infiziert, was Jeffrey durch gefühlsmäßige Höhen, Tiefen und sonstige Schlamassel in Form einer New-Agepredigenden Zynikerin (Sigourney Weaver) führt. Derweil sterben die Leut' an Knoten im Hirn, und ein unglaublich distinguierter, sonst Raumschiffe kommandierender Patrick Stewart begleitet das Liebes- wie Lebensdilemma mit dem Sarkasmus des älteren Kultur-Schwulen: „Du willst dir goldene Ringe durch die Brustwarzen ziehen lassen? Die sind doch höchstens für Gästehandtücher gut“, sagt er zu seinem Boyfriend, als wäre der Alltag ein Käfig voller Narren.

Das ist schrill, vielleicht auch camp – und trotzdem safe. Denn statt seine Figuren ins überspannt wigstockhafte Land hinter dem Regenbogen zu führen, holt Ashley sie meist zurück in die Debatte über Aids und die entsprechenden Aktionsfronten. Dann erweisen sich Menschen, die des nachts als Pink Panther durch Greenwich Village toben, am Tag noch solidarisch. Und Jeffrey lernt von Steve, daß der Tod nicht das Leben diktiert, sondern nur ein ungebetener Gast ist, der die Party nicht verlassen will. Das macht sogar ein bißchen Sinn. Als sie sich schließlich kriegen, spielt Mutter Theresa zum Kerzendinner Klavier.

„Jeffrey“. Regie: Christopher Ashley. Mit Steven Weber, Patrick Stewart, Sigourney Weaver, u.a. USA 1995, 95 Min.