Abschiebelager, Aids und Tod

Kehrseiten des malaysischen Wirtschaftswunders. Die Frauenrechtlerin Irene Fernández deckte sie auf und muß deshalb vor Gericht  ■ Aus Kuala Lumpur Jutta Lietsch

Der Weg durchs schmale Treppenhaus führt vorbei an einem Schönheitssalon und einer kleinen Anwaltsgemeinschaft, bis frauenbewegte Poster an den Wänden verraten, daß auch Tenaganita hier zu finden ist – „Women's Force“. Seit fünf Jahren kämpfen die malaysische Frauenorganisation und ihre Gründerin Irene Fernández von diesen Räumen im Zentrum Kuala Lumpurs aus für die Rechte von Frauen, besonders der Industrie- und Plantagenarbeiterinnen und der wachsenden Zahl ausländischer Gastarbeiterinnen im Land.

Mit finanzieller Unterstützung der malaysischen Gesundheitsbehörden eröffneten sie auch ein Zufluchtshaus für aidskranke Frauen.

Im vergangenen Jahr allerdings beendeten die Behörden abrupt ihre finanzielle Unterstützung. Grund: Tenaganita hatte entdeckt, daß Dutzende Abschiebehäftlinge, vor allem Arbeiter aus Bangladesch, in einem von der malaysischen Polizei geführten Lager an Hunger, unbehandelten Krankheiten und Folter gestorben waren.

„Wir haben von den Zuständen in den Abschiebelagern ganz zufällig erfahren“, sagt Irene Fernández, „als wir ausländische Arbeiterinnen über ihre Erfahrungen in Malaysia befragten. Das war im Rahmen einer Studie über den Zusammenhang zwischen Arbeitsmigration und Aids.“

Inzwischen ist bekannt, daß mindestens 10.000 MigrantInnen in elf Abschiebelagern festgehalten werden. Das sind SchwarzarbeiterInnen, aber auch durchaus legale EinwanderInnen, die ohne Paß angetroffen wurden, da ihre malaysischen Arbeitgeber sie ihnen gerne abnehmen. Manche werden schnell abgeschoben, wie die meisten IndonesierInnen, aber ArbeiterInnen aus Bangladesch müssen oft monatelang in den Lagern bleiben, weil niemand die Reisekosten bezahlen will.

Die malaysische Regierung zeigte sich höchst verärgert darüber, daß Tenaganita nach ihrer Entdeckung die Öffentlichkeit alarmierte. Im In- und Ausland hagelte es empörte Reaktionen über die Behandlung der ausländischen Arbeitskräfte in Malaysia. Obwohl sie eingestehen mußten, daß die Informationen der Frauen korrekt waren und 46 Häftlinge umgekommen waren, begannen die Behörden bald mit einem wahren Rachefeldzug: Das Gesundheitsministerium kappte die Gelder für die Aids-Schutzwohnung. Die Polizei verhörte MitarbeiterInnen, hielt einen wochenlang ohne richterlichen Haftbefehl im Gefängnis. Andere wurden von der Polizei verprügelt.

Auch Irene Fernández als Direktorin von Tenaganita wurde zehn Tage lang von morgens bis abends verhört und mußte ihren Paß abgeben. „Was die Polizei interessiert hat, waren allerdings weniger die Umstände in den Lagern“, sagt sie, „sondern sie wollten vor allem wissen, was für Kontakte wir zu Organisationen in Malaysia und auf internationaler Ebene haben.“

Die fünfzigjährige Aktivistin arbeitet von ihrem Büro aus tatsächlich mit anderen asiatischen Bürgerrechtsgruppen zusammen, nimmt Kontakt auf zu Frauengruppen in Herkunftsländern der MigrantInnen. In dieser Arbeit ist Irene Fernández erfahren: Vor fast dreißig Jahren begann sich die junge indischstämmige Lehrerin in der christlichen Arbeiterbewegung zu engagieren. „Diese Zeit war ungeheuer aufregend“, erinnert sie sich. Es war eine Periode großen wirtschaftlichen und politischen Umbruchs in der Region: In Indochina tobte der Vietnamkrieg, in dem das reiche Amerika wie schon zuvor Frankreich gegen das kleine Nordvietnam verlieren sollte. In China herrschte die Kulturrevolution, und maoistische bewaffnete Guerillaorganisationen trugen den Kampf auch in die Staaten Südostasiens. Diese wandten ihre scharfen „Gesetze zum Schutz der nationalen Sicherheit“ gegen all jene an, die sie kommunistischer Umtriebe verdächtigten – dazu gehörten auch GewerkschafterInnen.

Malaysia und die Nachbarländer waren in diesen Jahren dabei, internationale Investoren anzulocken, die hier günstig Textilien, Spielzeug, Kameras und anderes mehr für den Weltmarkt produzieren sollten. Als Anreiz hatten sie etwas ganz Besonderes anzubieten: „willige und billige“ Arbeitskräfte – und das waren überwiegend Mädchen und junge Frauen. Viele wurden wie Gefangene gehalten – bis ihre „flinken Hände und frischen Augen“ nicht mehr funktionieren wollten.

Irene Fernández reagierte ähnlich erbittert auf diese Entwicklung wie viele junge Intellektuelle Südostasiens: Waren sie nicht erst vor kurzem die Kolonialherren losgeworden? Und nun wurden deren Nachfolger – als Manager internationaler Konzerne – wieder ins Land geholt, und die ArbeiterInnen waren der Willkür in ihren Betrieben rechtlos ausgeliefert.

So schmuggelten sich Irene Fernández und andere AktivistInnen in die Fabriken, brachten Berichte über die Arbeitsbedingungen an die Öffentlichkeit, reisten zum Erfahrungsaustausch in die Philippinen oder nach Thailand und organisierten Proteste.

Nach fünf Jahren gab die junge Lehrerin ihren Job in der Schule auf und arbeitete von da an in Menschenrechts- und Umweltgruppen. 1991 gründete sie gemeinsam mit einigen Kolleginnen die Frauenorganisation Tenaganita. Es sind wieder die Landarbeiterinnen in den Plantagen und Industriearbeiterinnen in den Weltmarktfabriken, für die Irene Fernández und ihre Mitarbeiterinnen sich einsetzen. So haben sie die berufsbedingten Schädigungen bei Plantagenarbeiterinnen durch den Einsatz von Pestiziden und bei Frauen in der Computerchipproduktion dokumentiert.

Der wirtschaftliche Aufschwung Malaysias hat aber auch neue Probleme mit sich gebracht: Arbeitskräfte sind knapp geworden, und so suchen immer mehr Männer und Frauen aus Ländern wie Indonesien, Bangladesch und den Philippinen ihr Glück in diesem südostasiatischen Land – viele auch ohne Arbeitserlaubnis.

Die wachsende Mobilität trägt dazu bei, daß sich jetzt auch in Malaysia Aids und HIV ausbreiten. Vor allem reisen viele malaysische Männer zu Sextrips nach Thailand. Für die Frauen von Tenaganita wurde die Hilfe für HIV-infizierte und aidskranke Frauen zu einem neuen Schwerpunkt ihrer Arbeit. Doch mit dieser Arbeit soll nun Schluß sein.

Die Behörden haben Anklage gegen Irene Fernández wegen „falscher Berichte“ erhoben. Am 18. März wurde sie verhaftet und dann auf Kaution freigelassen. Der Prozeß beginnt am 10. Juni in Kuala Lumpur. Wenn Fernández verurteilt wird, muß sie mit einer hohen Geldstrafe und Gefängnis bis zu drei Jahren rechnen.

Zahlreiche asiatische Menschenrechtsgruppen haben gegen das Verfahren protestiert. Und Irene Fernández glaubt: „Dieser Prozeß wird ein Testfall für das Land. Es geht um die Rede- und Meinungsfreiheit in Malaysia. Vielleicht“, lächelt sie, „hat die Verhandlung noch einen anderen Sinn: Sie kann an die Stelle der von uns vergeblich geforderten öffentlichen Anhörung über die Lage der ausländischen Arbeitskräfte treten.“