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■ Rußland: Jelzin, der Reformer wider Willen, und KP-Chef Sjuganow kämpfen in unterschiedlichen GewichtsklassenLandschaft vor der Schlacht

Der Kampf zwischen David und Goliath ist es gewiß nicht. Der ehemalige Gebietssekretär und Reformer wider Willen Boris Jelzin und der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Rußlands, Gennadi Sjuganow, gehören zu unterschiedlichen Gewichtsklassen. Hinter Sjuganow stehen, neben seiner inzwischen auf 600.000 Mitglieder gewachsenen Partei, die Verlierer des Umbruchs: Rentner und Mitarbeiter des militärisch-industriellen Komplexes, der maroden Industrie, die Kolchosbauern und die Opfer ethnischer Konflikte. Besonders russische Grenzgebiete wie der Ferne Osten und der Kaukasus, betroffen von Flüchtlingsströmen und weggefallenen Subventionen, sehnen sich nach der der Sowjetunion. Noch Anfang April lag Sjuganow zehn Punkte vor Jelzin. Aber in den zurückliegenden zwei Monaten ist es Jelzin gelungen, alle denkbaren Mittel zu mobilisieren, um die Lage zu seinen Gunsten zu ändern. Denn hinter Jelzin steht der ganze Staatsapparat. Tatsächlich übersteigen seine Möglichkeiten bei weitem die der oppositionellen Parteien.

Seine Taktik ist es, die Versprechungen seiner Gegner zu übernehmen und flugs als vollendete Tatsachen zu präsentieren. Wollen Kommunisten die privatisierten Staatskombinate wieder enteignen, so verfügt Jelzin die Rückführung „unrechtmäßig“ privatisierter Betriebe an den Staat. Sehnt sich die kommunistische Wählerschaft nach der Sowjetunion, so unterzeichnen Jelzin und Lukaschenko den Vertrag über eine „Wiedervereinigung“ Rußlands mit Belarus. Möchten die Bürger, daß der Krieg mit Tschetschenien endlich aufhört, so ordnet er einen Abzug der russischen Truppen an. Verlangt die Bevölkerung eine Entschädigung für ihre durch die Freigabe der Preise 1992 entwerteten Ersparnisse, so verspricht der Präsident ungeniert eine Entschädigung. Da die meisten Erlasse bloßes Papier bleiben, wird ihnen verständlicherweise immer weniger Vertrauen geschenkt.

Um die Bevölkerung dennoch zu beeindrucken, muß Jelzin immer phantastischere Angebote machen. So hat er Anfang Mai die Einführung einer Berufsarmee im Jahr 2000 per Erlaß verordnet. In diesem Fall hat er die Achillesferse der russischen Gesellschaft getroffen. Die Angst, die Söhne auf dem Feld oder infolge der brutalen Behandlung in den Kasernen zu verlieren, lassen die verzweifelten Eltern auch an Wunder glauben. Denn in Rußland machen sich Eltern schon nach der Einschulung Gedanken, wie sie ihren Söhnen dieses Schicksal ersparen können. Am Verhältnis zum Wehrdienst läßt sich die ganze gesellschaftliche Pathologie ablesen. Zweifelsohne wird jede Familie mit minderjährigen Söhnen nun dazu verführt, Jelzin als Garanten für das Überleben ihrer Kinder zu wählen; egal wie irreal diese Perspektive sein mag.

Seit die Spitzen der TV-Anstalten ausgewechselt sind, stehen Jelzin alle Medienkanäle zur Verfügung: industriell verbreiteter Populismus. Jelzins Medienstrategie ist einfach und klar: die Angst vor den Kommunisten schüren, die Demokraten denunzieren. Auf diesem Gebiet war er außerordentlich erfolgreich. Sogar unbestechliche Intellektuelle wie Bulat Okudshawa und Anatoli Pristawkin plädierten für Jelzin, um eine Rückkehr zum Totalitarismus zu verhindern.

Auf raffinierte Weise wurde der Demokrat Grigori Jawlinski ausgetrickst. Vor einiger Zeit kursierten Gerüchte, er habe mit Sjuganow eine Abmachung über die Postenverteilung in einer zukünftigen Regierung getroffen. Dies brachte ihn bei seiner potentiellen Wählerschaft, die ohnehin als besonders schwankend gilt, um mehrere Punkte zugunsten Jelzins. Noch verhängnisvoller für sein Ansehen wirkte die Einladung Jelzins zum persönlichen Gespräch. Sagte er das Treffen ab, würde dies das weitverbreitete Urteil bekräftigen, er wäre eitel. Ginge er auf den Vorschlag ein, wirkte dies machtsüchtig, weil er hinter dem Rücken der Demokraten einen Posten aushandeln könnte. Kein Geringerer als Gaidar hat Jawlinski denn auch vorgeworfen, er feilsche um den Posten des Ministerpräsidenten. Und Jawlinski lief munter in die ihm gestellte Falle: Nach dem Gespräch mit Jelzin und seinem offenen Brief an die Iswestija verdichtete sich der Verdacht, er könnte seine Kandidatur gegen den Posten in einer zukünftigen Regierung eintauschen. Da Jawlinski kaum Zutritt zu den Medien hat und die öffentlichen Initiativen für eine „dritte Kraft“ – gegen eine Polarisierung der Gesellschaft zwischen Machtpartei und Kommunisten – verschwiegen werden, wandern verunsicherte Wähler zu Jelzin ab.

Vor diesem Hintergrund wirkt der Wahlkampf Sjuganows zunehmend unsicher und lahm: Seine Reisen in die Provinz sind schlecht organisiert, es fehlt an Geld. Anscheinend hat er eingesehen, daß seine Chancen nicht allzugroß sind. Am 18. Mai fand ein geheimes Plenum des ZK der KPR statt. Sjuganow soll dort vorgeschlagen haben, einen Kompromiß mit Jelzin einzugehen: die KP verliert bewußt die Wahl, dafür soll Jelzin eine Koalitionsregierung unter Führung Sjuganows akzeptieren. Dies sollte das „Maximalprogramm“ sein. Das „Minimalprogramm“ dieser „schleichenden Revolution“ wäre, mehrere Ministerposten zu besetzen. Im Falle einer Schwächung des Regimes würde die KP dann die ganze Macht in ihre Hand nehmen. Aber die Partei ist gespalten. Die Hardliner wollen Sjuganow im Fall seiner Niederlage abwählen. Andererseits ist Jelzin auch unwillig, mit Sjuganow Kompromisse einzugehen, da er wohl mit Recht bezweifelt, ob dieser die eigene Partei kontrollieren kann.

So scheint Jelzins Erfolg in zwei Wochen wahrscheinlich. Die schamlose Indienstnahme des Staatsbudgets, für den Wahlkampf, die Einschränkung der Pressefreiheit, die Dämonisierung der Kommunisten und die Denunzierung der Demokraten könnten ihm den Sieg bescheren. Allerdings stützen sich alle Einschätzungen auf Meinungsumfragen, die von der Regierung in Auftrag gegeben wurden. Keine Rede war im bisherigen Wahlkampf übrigens von Jelzins Gesundheitszustand: unwahrscheinlich, daß er die Legislaturperiode durchstehen wird. Welche politischen Kräfte sich nach seinem Ende zu Wort melden werden, ist nicht abzusehen. Andererseits kann Jelzin mitnichten seine populistischen Versprechungen verwirklichen, es sei denn um den Preis einer Hyperinflation. Die Beruhigung der ausländischen Kreditgeber ist ein zu hoher Preis für den Fortbestand einer korrupten Seilschaft, die es nicht verdient, eine Regierung genannt zu werden. Sonja Margolina

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