Fall Weimar im Blitzlichtgewitter

■ Im Wiederaufnahmeverfahren gegen Monika Böttcher erhob ihr Anwalt schwere Vorwürfe gegen die Ermittler

Gießen (taz) – Keine Menschenschlangen gestern am frühen Morgen vor dem Gießener Landgericht, kaum sensationslüsterne ZuhörerInnen. Am Ende des kurzen, gerade zweistündigen Verhandlungstages aber erbarmten sich gestern vormittag couragierte WachtmeisterInnen der Angeklagten. Sie führten Monika Böttcher, geschiedene Weimar, fürsorglich umarmt, aus dem Saal 207 in das Dienstzimmer im ersten Stock. Vorher war sie, trotz eines strengen Reglements durch den Vorsitzenden Richter der 2. Strafkammer, Winfried Weller, wiederum allein dem Blitzlichtgewitter der Fotografen ausgesetzt.

Ihre Verteidiger, der Hamburger Rechtsanwalt Gerhard Strate und Uwe Maeffert aus Frankfurt, gaben Interviews und erhoben schwere Vorwürfe gegen die Richter und Ermittler des ersten Prozesses. Das Landgericht Fulda habe ihre Aussagen gegenüber den Ermittlern im Prozß 1988 sogar „objektiv verfälscht“, sagten sie zu Beginn der Verhandlung.

Monika Böttcher, im Wiederaufnahmeverfahren angeklagt, ihre beiden Töchter Karola (5) und Melanie (7) am Vormittag des 4. August 1986 umgebracht zu haben, schien der Öffentlichkeit genauso wenig gewachsen wie vor acht Jahren. Sie wirkte so, als habe ihr jemand Gefühlsregungen schon vor langer Zeit verboten. Mühsam stellte sie sich dem vom Gericht genehmigten Spießrutenlaufen in den ersten fünf Minuten vor der Verhandlung.

Rechtsanwalt Strate erklärte nach der Anklageverlesung, die ihr zweifachen Mord an den arg- und wehrlosen Opfern vorwarf – „weil die Kinder ihrer ehebrecherischen Beziehung zu dem US-Soldaten Kevin Pratt im Wege standen“ –, daß seine Mandantin sich zu den Vorwürfen vorerst nicht äußern wolle. Er begründete das damit, daß schon das erste Urteil in Fulda jede ihrer Aussagen nur gegen sie ausgelegt habe.

Rechtsanwalt Schneider, der ihren, zeitweilig ebenfalls verdächtigten, inzwischen vernehmungsunfähig krankgeschriebenen Ehemann Reinhard Weimar vertritt, nannte das eine „unangemessene Urteilsschelte“. Strate seinerseits fürchtete auch um die Unbefangenheit der 2. Strafkammer des Gießener Landgerichts, das im vergangenen Jahr in derselben personellen Besetzung den Wiederaufmahmeantrag abgelehnt hatte, ehe das Frankfurter Oberlandesgericht in letzter Instanz anders entschied. Strate wollte das nicht als Affront gegen das Gericht verstanden wissen: „Auch Vertrauen muß man sich erwerben.“

Er stellte zu Beginn den Beweisantrag, einen Reporter der Bild- Zeitung als Zeugen zu laden. Der Mann habe im Herbst 1986 mit Reinhard Weimar gesprochen und sei entsetzt gewesen. Weimar habe ihm gesagt, am meisten hätten ihn „Fliegen im Gesicht der toten Kinder“ gestört. Der Journalist schloß daraus, daß der Mann seine Töchter noch nach deren Tod gesehen haben müsse und benachrichtigte den Staatsanwalt. Damit aber wäre die Anklage gegen Frau Böttcher hinfällig, die im ersten Verfahren Reinhard Weimar glaubte, daß er während der Morde geschlafen und gar nichts bemerkt habe. Eine Notiz über das Gespräch zwiStaatsanwälten und dem Reporter ist nie zu den Akten genommen worden.

Die beiden Mädchen wurden erst nach tagelanger Suche gefunden. Überraschend gab das Gericht dann einem Antrag der Verteidigung statt, sich zu vertagen und eine Zeugenvernehmung zu verschieben. Geladen waren die seinerzeit in Fulda ermittelnden KripobeamtInnen, denen die Verteidigung – mindestens – Schlamperei vorwirft. Da zwei von ihnen gestern wegen Krankheit und Urlaub absagten, bat Strate um eine Verschiebung auf einen anderen Tag, damit Absprachen der ZeugInnen untereinander vermieden werden können.

Die Verhandlung wird am kommenden Mittwoch fortgesetzt. Geplant sind 50 Verhandlungstage bis zum Jahresende. Richter Weller: „Auch wir wollen die Chronologie einhalten.“ Den tieferen Sinn des Wandreliefs im Saal konnte auch Weller der interessiert nachfragenden Verteidigung nicht erklären. Es stammt aus den 50er Jahren und zeigt stilisiert eine überhöhte Richtergestalt, einen Ankläger mit Schwert, einen niedergeworfenen Angeklagten und eine um Gnade flehende weibliche Gestalt. Heide Platen