Tödliche Flucht durch die Oder

■ Mindestens 33 Menschen ertranken seit 1993 bei dem Versuch, über Wasser die Bundesrepublik zu erreichen

Bonn (taz) – 33 Menschen starben offiziell in den vergangenen drei Jahren in den Flüssen Oder und Neiße – Flüchtlinge, die versucht hatten, von Polen oder Tschechien aus Deutschland zu erreichen. Mit dieser Zahl reagierte die Bundesregierung jetzt auf eine Anfrage der Bundestagsgruppe der PDS, die monatelang unbeantwortet geblieben war. Nach einer Rechnung der Antirassistischen Initiative in Berlin sind in dem gleichen Zeitraum 38 Menschen in Oder und Neiße ertrunken. Die Zahl der auf dem Wege nach Deutschland gestorbenen Flüchtlinge gab eine Sprecherin mit insgesamt 61 an.

Seit der Asylrechtsänderung im Sommer 1993 ist die Zahl der Toten bei der Überquerung der Grenzflüsse gestiegen. 1992 und 1993 wurden insgesamt sieben Leichen, im Jahr darauf zwanzig geborgen. Doch die ganze Wahrheit kommt damit nicht ans Licht. Viele, die auf dem riskanten Weg ihr Leben lassen, werden nicht gefunden. Sie verhaken sich in Schlinggewächsen unter Wasser oder in unzugänglichen Uferböschungen. Zudem ist das Interesse der Anrainergemeinden nicht besonders groß, den Behörden die angeschwemmten Leichen zu melden. Sie müssen nämlich für die Beerdigungskosten aufkommen. Nach Berichten von Anwohnern und Gemeindevertretern soll es deshalb schon vorgekommen sein, daß Leichen bewußt in die Oder zurückgestoßen wurden. „Mit Bohnenstangen...“, hatte ein Amtsleiter einer Odergemeinde auf Nachfrage gesagt, um sich danach sofort erschreckt über den Mund zu fahren. Gemeindevertreter hatten berichtet, daß sie beschlossen hätten: Das passiert uns nicht noch mal, daß wir zahlen müssen. Markus Franz