Der Duft von Guinness und Kotze

■ Von Proleten und Poeten: Die ewig junge Liebe zwischen Fußball und Literatur blüht wieder auf, rechtzeitig zur Europameisterschaft / Eine kritische Rechtfertigung von Thomas Wolff

Fußballdichter? Nein, dieses Etikett verbittet sich der Autor. „Das wäre ja sowas wie ,Frauenschriftstellerin' oder so“, sagt Ian Watson, Wahlbremer, gebürtiger Nordire, Schriftsteller – und glühender Werderfan. Ja, die Liebe der Literaten zum Fußballsport, sie ist ein heikles Thema. So hundertprozentig wollen sich die Kopfarbeiter zwar nicht auf die Ebene des Ostkurvenfans herabbegeben. Doch ihre Faszination für den proletarischen Kick ist ungebrochen. Walter Jens schwelgt öffentlich in seinen Erinnerungen an den heimatlichen TV Eimsbüttel; Eckhart Henscheid gießt seine Haßliebe zur Frankfurter Eintracht in immer neue Prosaworte. Kurz vor der Europameisterschaft befällt die Intellektuellen wieder das alte Fieber. Schon wird eine weitere Anthologie der Fußballdichtkunst angekündigt – zusammengetragen von drei Bremer Literatur- und Freistoß-Spezialisten.

Ian Watson ist einer von ihnen. Gemeinsam mit Jürgen Alberts und Michael Augustin gehört er zu jener wachsenden Zahl von Literaten, die aus ihrer doppelten Leidenschaft – fürs Schreiben und fürs Schreien – keinen Hehl machen. Denn so abwegig sei die Liaison zwischen Kopf und Fuß schließlich gar nicht, wie Watson zu erklären weiß. Beim näheren Hinsehen stellt sie sich eher als vielschichtig verbandelte, verzwickte und widersprüchliche Beziehung dar. Wie im richtigen Leben eben.

Daß sich im Fußball „eine ganze Menge Welt“ findet, wie sich Ror Wolf in die Ewige Bestenliste der Fußballdichter eintrug – das hat sich unter den Schriftstellern längst herumgesprochen. Die Liebe gerade der Linken zum Fußball, ahnt Watson, hat allerdings noch viel mehr Gründe. Wenn der Dichter sich auf den Platz begibt, um den Namen seiner Heimatelf hinauszuschreien, dann „will er sich damit auch schmücken, etwas proletarisch zu sein.“ Ein bißchen Schweiß und Bier – das adelt den Büchermenschen. So, wie „die 68er früher in Latzhose herumliefen, um auszusehen wie ein Elektriker“.

Mehr noch: Im Stadion ist dem Intellektuellen all das erlaubt, was ansonsten verpönt ist und in Dichterworten gegeißelt wird. Im Stadion, sagt Watson, „kannst Du schimpfen, ohne jemanden direkt zu beleidigen“, vor allem ohne Konsequenzen zu fürchten – es liegt ja zwischen Schimpfer und Schiri der gesamte F-Block. Hier darf der Dichter brüllen, darf laut und hart und ungerecht sein. Wie heißt es in Ror Wolfs „Busfahrt mit Gesang“ so schön: „Wir saufen nur aus Tonnen/ die Eintracht hat gewonnen/ auf geht's, Hölzenbein/ es lebe der Verein/ OFC ade-e-e!“.

Noch ein Vorteil: Unter dem Mantel der Fußballschwärmerei findet sich viel Raum für Männer-Sentimentalitäten aller Art. Wenn Dieter Pudenz seine Erinnerung an die goldene Eintrachtzeit seiner Jugend frei herausschreibt und ein Heldenlied dichtet auf Alfred Pfaff, die Nummer 10, „der aus dem Stand das Spiel der Eintracht lenkte“ – dann ist die Grenze zur Selbstverkitschung nicht weit. „Die Gefahr, das alles zu romantisieren, ist groß“, sagt Watson. Nur wenige besitzen soviel Distanz wie der Brite Nick Hornby, der in seinem Bestseller „Fever Pitch“ die Abhängigkeit der eigenen Biografie vom Tabellenstand der „Arsenal London“-Mannschaft kunstvoll und distanziert beschreibt.

Watson selbst kann solches Hin- und Hergerissensein zwischen Kunst und Sport, Kritik und Leidenschaft bestens nachvollziehen. Wenn er über Fußball schreibt, dann ist das „auch der Blick auf die eigene Besessenheit“. Wenn „Manchester United“ spielte, machte sich Young Watson von Dublin auf nach England, mit der Sonderfähre nach Liverpool. Sein aktuelles Wohnquartier liegt im Schatten des Bremer Weserstadions. Sohn Peter steht in Werders zweiter D-Mannschaft zwischen den Pfosten. „Aber er will aufhören.“ Vater Watson bricht es das Herz. So, wie er inzwischen leidet, wenn er Werders Auf und Ab verfolgt. „Ich weiß, wovon ich rede; ich bin schon mal mit Werder abgestiegen.“ 1980 dichtete er, kurz und schmerzhaft, einen Aphorismus namens „Abstieg“: „Unter allen Wimpeln/ ist Ruh.“

Doch allzu sentimental wird es bei Watson selten. Davor schützt ihn seine Selbstironie. Und die Erinnerung daran, wie es wirklich war auf der Sonderfähre nach Liverpool. „Der Geruch von Guinness und Kotze“ wird Watson ewig im Gedächtnis bleiben.

Die Fußballdichtkunst bleibt indessen nicht nur den Dichtern vorbehalten. Wachsende Aufmerksamkeit, sagt Watson, der als Literaturwissenschaftler an die Bremer Uni kam, genießt inzwischen auch die Volksdichtung: Fußballsprüche, -gesänge, -transparente werden inzwischen von Soziologen fleißig gesammelt; gleiches Interesse gilt der Sprache der Sportreporter. Auf dem Platz, sagt Watson, „hört man ja oft sehr schöne, bildhafte Formulierungen“. Beim Spiel der Werderaner gegen Leverkusen entdeckte Watson ein Prachtexemplar von Spruchband, das dem rundlichen Präsidenten des Clubs gewidmet war: „Wann platzt Calmund?“

Freilich: Da haben die Engländer den Deutschen doch einiges voraus, wenn's um die Qualität der Sprüche geht. In einer Anthologie mit dem Titel „Alive and Kicking“ hat Watson mit Kollegen beide Fußballwelten verglichen. Ergebnis: „Die Kunst der Parodie“ wird von den Engländern gut gepflegt, dieweil den Deutschen eher ausnahmsweise ein hübscher Vers gelingt. Ein Bonmot des Aberdeen-Managers Alex Smith bringt die Kunst des Understatement auf den Punkt: „We had enough chances to win the game. In fact, we did win it.“ Hingegen der Kölner Kicker Bruno Labbadia im Fernseh-Interview: „Das wird alles von den Medien hochsterilisiert.“ Konter von Kollege Matthäus: „Wir dürfen jetzt nicht den Sand in den Kopf stecken.“ Einzig Paul Breitner, selbst als linker Intellektueller verschrien, gelangen gelegentlich literarische Traumpässe. Wie seine schöne Wortfindung nach dem errungenen WM-Titel 1974 beweist: Danach hatte er nämlich einen gehörigen „Weltmeisterkater“.

Doch soviel auch analysiert, gedichtet und gedeutelt wird: Watson weiß, daß „wir die Faszination des Fußballs bisher nicht erklären können“. Den tieferen Sinn des Mysteriums kennt wahrscheinlich wieder mal nur einer – Uwe Seeler. Und der sagt: „Das Geheimnis des Fußballs ist ja der Ball.“

„Die dritte Halbzeit“, Lesung über Literatur und Fußball mit Ian Watson, Michael Augustin und Jürgen Alberts, heute um 20 Uhr in der Stadtbücherei Neustadt