"Allein wegen der Sportschau"

■ Juppy von der Ufa-Fabrik im heiter-entspannten Gespräch über subventionierte Alternativkultur, seinen Wunsch, Innensenator zu sein, den siebzehnten Geburtstag der Ufa und die Insel der Seligen

taz: Ist dein Hund wiederaufgetaucht?

Juppy: Ich war eigentlich ganz froh, als er fortging. Ich dachte, vielleicht ist er irgendwo zum Sterben gegangen, wie ein alter Elephant. Max Müller ist ja schon 18, also ein Jahr älter als die Ufa. Wo's so heiß ist, kriegt der ja kaum noch Luft. Und jetzt ist er wieder da. Der will net sterben.

Bist du schon mal in der Staatsoper gewesen?

In der Deutschen Oper war ich. Und in der Staatoper. Die Berliner Zeitung macht doch immer ihren Kritikerpreisverleih, mal da, mal da. So war ich einmal in der Staatsoper. Einmal war ich sogar in der Deutschen Oper. Auf einem der teuersten Plätze, he he.

Und? Wie war's?

Jo, war schön. Das Licht war mir zu dunkel auf der Bühne. Aber ich kann schon verstehen, daß es Leute gibt, die darauf abfahren. Meine Sache ist es nicht, obwohl ich auch Respekt vor so einer Art von Kultur habe.

Vor siebzehn Jahren hast du Häuser besetzt, heute bist du Angestellter mit festem Gehalt und Rentenversicherung. War das Leben früher wilder?

Na ja, ich wollte nie 'ne Rentenversicherung haben. Ich bin ja jetzt doppelt rentenabgesichert. Einmal habe ich das normale wie jeder andere auch, weil mir von meinem Gehalt gleich was abgezogen wird. Und dann habe ich noch die Kommune. Unser Ältester ist neunzig Jahre alt. Ich hoffe, daß ich auch noch so alt werde

Ist die Ufa-Fabrik eine Insel der Seligen?

Sagen wir's mal so: Daß wir ganz intensiv an paradiesischen Zuständen auf der Erde arbeiten, ist natürlich klar. Aber man kann ja auch nur wirklich selig sein, wenn die Mitmenschen das auch sind. Sonst siehste soviel Elend um dich herum, selbst hier in der Viktoriastraße. Und sei es nur, daß Leute sich nicht um ihre Kinder kümmern. Dann weißt du, daß hier keine Insel der Seligen ist.

Hast du einen Lieblingsplatz hier?

Mein Lieblingsplatz ist in meinem Büro. Ich habe mir das so eingerichtet, daß ich alles da habe, mit Pflanzen und Musik ...

Mittlerweile arbeiten hier 130 Menschen: Die Ufa-Fabrik Berlin GmbH macht Millionenumsätze und zieht nicht unerheblich Staatsknete ab. Macht dir diese Entwicklung angst?

Wir haben unsere Betriebe. Das ist völlig klar, das macht Mühe. Die Verwaltung bindet viele Energien. Wir sind im großen und ganzen organisiert wie eine amerikanische Holding. So kann kein Betrieb den anderen stören, wenn er einmal mit der Bilanz etwas langsamer ist und wir wieder Kredite bei der Bank brauchen.

Man hört immer wieder, daß die Alternativen müde und zufrieden geworden sind. Hat die Bewegung abgewirtschaftet?

Wir haben uns immer dagegen gesträubt, uns in eine Schublade packen zu lassen. Deswegen kann auch keiner sagen, daß wir abgewirtschaftet haben. Wir haben uns weiterentwickelt; man macht einen Lernprozeß durch. Denn der Mensch strebt danach, die Dinge perfekt zu können. Selbst wenn das gar nicht geht, danach streben tut er.

Berlin wird Regierungssitz. Fühlst du dich als Hauptstädter?

Wir waren ja schon immer Regierungssitz, das war ja nur provisorisch irgendwo anders verlagert. Und gut wär, wenn wir wirklich mal mit dem Bewußtsein, Hauptstadt zu sein, leben könnten. Das heißt nicht, wie kriegen wir das Beste für uns. Wenn man eine wirkliche Hauptstadt ist von einem Land, dann muß man dran denken, wie geht's den anderen. Dann muß man viel mehr tun für andere Städte.

Wenn du Helmut Kohl Berlin zeigen müßtest. Wo würdest du zuerst hingehen?

Da muß ich lange nachdenken. Ich würde mit dem zuerst irgendwo in ein nettes kleines Café gehen und mich mit ihm unterhalten, egal wo das wär. Und ihm mal geistig die Lage erklären, wie wir Menschen leben, die wir nicht oben in der Politik rummachen.

Wie wird sich Berlin in den nächsten fünf Jahren entwickeln?

Ich guck mir die Baustellen an. Ich bedauere, daß die ganze Architektur hier in der Stadt zuwenig überlegt ist, auch kulturell überlegt. Die Architekten sind für mich keine wirklichen Architekten mehr, sondern moderne Designer, die ein schönes Design entwerfen. Und die stellen sich dann davor, alle Bäume weg, damit das Design nicht zerstört wird. Das finde ich nicht in Ordnung.

Wenn du für einen Tag Kultursenator wärst, was würdest du als erstes durchsetzen?

Als Kultursenator kann man wenig durchsetzen. Die Kultur wird ja immer noch unterdrückt. Ich glaube, ich könnte viel mehr bewirken, wenn ich Innensenator wäre. Dann würde ich mal zeigen, wie man sich als Innensenator zum beliebtesten Mann der Stadt machen könnte. Das ist ja im Moment genau umgekehrt.

Letztes Jahr haben Christo und Jeanne-Claude den Reichstag verhüllt. Dieses Jahr kommt der Papst. Wer ist 1997 dran?

Also ich würde den Papst nicht mit dem Christo vergleichen.

Beides sind Großereignisse ...

Aber der Reichstag, das war ein Bedürfnis von allen Menschen dieser Stadt, einen Ort zu haben, wo man zusammenkommen kann. Bei Christo habe ich nachts um drei Uhr Freunde getroffen, die ich seit fünf Jahren nicht mehr gesehen habe. Ich weiß nicht, ob mir das beim Papstbesuch genauso gehen wird.

Wo warst du am 9. November 1989?

Am Brandenburger Tor natürlich. Einige von uns sind schon in der Nacht dadurch gelaufen. Dann haben wir am nächsten Tag mit der Sambagruppe dort gespielt. So kamen wir international ins Fernsehen. In ganz Südamerika haben sie uns gezeigt, wie wir da mit der Sambagruppe auf der Mauer stehen. In Brasilien haben sie uns so gebracht: „Mit brasilianischer Sambamusik fällt das Bollwerk des Kommunismus.“

Nicht nur die taz und die Ufa- Fabrik werden 17. Auch im Mehringhof feiern sie ihren 17. Geburtstag ...

Ja, ich habe auch schon gratuliert.

... und zwar am selben Tag wie ihr, mit dem gleichen Motto. Bist du sauer auf die?

Ja, nein, nee. Hier gehen ja nur 600 Leute drauf auf das Gelände. Hier in Berlin sind soviel Leute, wenn die alle zu uns kämen, wäre das ein viel größeres Problem. Mit der taz zusammen zu feiern reicht.

Habt ihr ein Nachwuchsproblem in der Ufa-Fabrik?

Wir hatten das mal vor Jahren, daß wir dachten, ei, da müssen jetzt aber mal wieder ein paar junge Leute einsteigen. Aber inzwischen geht das wieder ganz gut. Und unsere eigenen Kinder werden ja auch so langsam älter.

Wie ist dein Verhältnis zu illegalen Drogen?

Öh, ach öh. Da muß man mal unterscheiden, was illegal ist. Also ich halte das eher so wie in Amsterdam. Weil wenn ich sehe, daß so etwas entkriminalisiert wäre, dann gäbe es in Berlin über 100.000 Menschen, die keine kriminelle Energie mehr hätten. Das macht für die Vibrations einer Stadt eine ganze Menge aus.

Wann warst du das letzte Mal in Urlaub?

Im Winter.

Und wo?

In Österreich, skifahren. Jahrelang kam ich gar nicht dazu wegzufahren. Aber ich habe ja auch einen Sohn, der ist 12 Jahre alt, und der will auch mal im Winter Skilaufen gehen. Wegen der Ökologie kann ich ja nur meine Augen zumachen und die Leute bitten, nicht so viele Hügel zum Skigebiet zu erklären. Aber es war schön. Da war ich zweitausend Meter hoch, saubere Luft. Seit der Zeit habe ich auch ein ganz anderes Verhältnis zu Österreichern. Ich bin denen so dankbar.

Könntest du dir vorstellen, woanders zu leben als in der Ufa- Fabrik?

Nö, hier ist mein Leben und meine Arbeit. Und die 24 Jahre, so lange bin ich nämlich schon in einer Kommune, will ich nicht aufs Spiel setzen.

Wärst du gerne Politiker?

Ich bin ja Politiker, he he. Hier von dem Staat Ufa-Fabrik, ohne daß wir jetzt eigene Ausweise haben. Ich denke mir, in ein paar Jahren werden wir von der Ufa-Fabrik uns für hohe Ablösesummen von anderen Städten abkaufen lassen, damit die wieder eine vernünftige Infrastruktur bekommen.

„Die Ufa-Fabrik ist unserer größter Zaubertrick“, das stammt von dir. War das ironisch gemeint?

Nee, das war nicht ironisch gemeint. Wir haben die ersten neun Jahre hier ohne einen Pfennig Subvention gemacht. Ohne Subventionen faßt ja heute keiner mehr eine Schaufel an.

War früher alles besser?

Nein. Aber das muß man mal so sehen: Wir haben damals eine Anleihe gemacht bei Freunden und Bekannten. Innerhalb von drei Monaten waren 240.000 Mark da. Wenn ich mir jetzt dagegen das Tempodrom ankucke, dann sehe ich eher, daß sich die Szene gewandelt hat. Die Leute unterstützen nicht mehr so gerne, was ihnen selbst nicht gehört.

Woran liegt das?

Das Leben ist härter geworden. Jeder muß viel mehr für sich kämpfen. Und dann haben wir auch noch Kabelfernsehen. Das ist eine furchtbare Entwicklung. Allein wenn man sich mal die Sportschau ansieht und den Fußball. Früher hat man an einem Tag in der Woche eine Sendung gekuckt und dann den Überblick gehabt. Heute muß man mindestens fünfmal Fußball schauen. Das heißt, es bleiben noch zwei Tage Zeit, um nachzudenken. Und in fünf Jahren, das weiß ja jeder, sind wir noch vereinzelter – allein schon wegen der Sportschau. Dann sind wir ein Volk von vereinzelten Idioten, nur weil wir zuviel Fußball geguckt haben. Und wenn man sich dann noch überlegt, woran das liegt ...

Inzwischen gibt es in der Stadt eine neue Generation von Alternativprojekten. Bist du neidisch auf das Tacheles?

Um Gottes willen. Ich freue mich, daß man so etwas machen kann. Aber wenn ich mir das Gebäude ankucke, dann sehe ich, irgendwann muß das Tacheles saniert werden. Und ich weiß nicht, ob die das überleben werden. Jetzt ist das natürlich ein wunderschönes Freibeutergebiet. Das braucht man auch in der Stadt: Freiräume, und sei es nur ein Platz, wo man mal ein Lagerfeuer anzünden kann.

Wenn du noch einmal von vorne anfangen könntest. Was würdest du anders machen?

Das ist immer leicht gesagt. Natürlich sagt man gerne, ich würde alles noch einmal so machen. Weil man nicht zeigen will, daß man auf dem falschen Weg ist. Aber man ist ja auch schlauer geworden. Natürlich würde ich heute mit meinem Wissen einiges anders machen, aber eigentlich kann ich das nicht beantworten. Irgendwie haben wir schon alles richtig gemacht.

Gibt es eine Frage, die du schon immer mal gefragt werden wolltest, die dir aber bisher nie gestellt wurde?

Nö, sonst hätte ich mir die Frage ja selber gestellt. Ich habe manchmal Fragen beantwortet, die mir nicht gestellt wurden. Ich kann ja nicht verlangen, daß einer fragt, was er nicht mal selber weiß – ohne dir jetzt zu nahe treten zu wollen. Interview: Ulrich Clewing

Morgen abend findet in der Ufa- Fabrik (Viktoriastraße 10–18) die große Geburtstagsfeier von Ufa und taz statt.