Der Busen als Wille und Vorstellung Von Barbara Häusler

Der Wonderbra war ja ein Riesenbluff. Stimmt schon, daß diese Hebevorrichtung seit letztem Jahr meterweise die einschlägigen Abteilungen sämtlicher Kaufhäuser verstopft. Aber, die Frage muß erlaubt sein, wer trägt das Zeug eigentlich? Wenn man sich nämlich umschaut, das heißt bewußt, streng und unbefangen die Silhouetten der Geschlechtsgenossinnen prüft, dann ist da alles mögliche zu sehen, aber doch auffällig wenig Wonder. Entweder produziert also dieses Modell bei ihnen keinerlei spezifische Optik, oder es wurde ohnehin nur für die Kleiderstangen der Wäscheabteilungen produziert, als Anreißer vielleicht. In jedem Fall ein Riesenbluff.

Vielleicht ging es anderen Frauen ja aber auch wie mir. Immerhin war der Wonderbra mit seinen sagenhaften Formversprechen ein guter Anlaß, sich die eigenen Formwünsche einmal bewußt zu machen. Ein im vergangenen Sommer in der schützenden Anonymität einer Kaufhauskabine durchgeführter Selbstversuch endete mit einem Schock. Was da, listig gequetscht, aus dem Bra quoll, hatte nichts Bekanntes mehr. Ein Fremdkörper. Selbst mit darüber gezogenem Pullover. Der Befund „sieht irgendwie bucklig aus“ bewirkte die Erkenntnis, daß so ein Dirndl-Dekolleté – mit Ritze und alles so geradeaus nach vorn gelenkt – ernsthaft gewollt sein muß und nicht einfach ertragen werden kann.

Braucht es ja auch nicht. Im heimischen Kleiderschrank findet sich schließlich Angemesseneres und Vertrautes. Die Bra-Episode geriet in Vergessenheit und mit ihr auch jener kurze Moment, in dem die gedankenlose Selbstverständlichkeit der eigenen Formvorstellung erschüttert worden war. Bis vor kurzem.

Eine Aufstockung der Bestände war unumgänglich geworden, und was liegt näher, als diesbezüglich einmal die kürzlich eröffnete Berliner Dependance eines französischen Kaufhauses zu konsultieren. Große Bestände und sehr geräumige, käsfußfreie Kabinen. Schnell sind sieben Exemplare zur Auswahl zusammengerafft. Bestürzend: Noch jedes einzelne der an und für sich ganz unaufwendigen Modelle produzierte zwei spitze Kegel. Zwei streng vereinzelte, penetrant vorragende Kegel. In zwei Fällen auch noch steil nach oben gerichtet. Letzteres im übrigen das einzige Merkmal, das sie deutlich von den alltagsuntauglichen Theaterbustiers Jean Paul Gaultiers unterscheidet. Dessen Kegelbusen gucken immerhin noch strikt geradeaus, aber hier geht die Blickrichtung der Brustwarzen, man muß es sagen, himmelwärts.

Wer kann das wollen? Und da fiel es mir schlagartig ein: die Französin natürlich! In Paris, in der französischen Provinz, bei Truffaut: immer diese dicken Lippen und – ob groß oder klein – eben spitzige Busen. Das finden die schön. Deshalb bauen ihnen die französischen Miederfabrikanten Kegelförmchen. Und deshalb brauche ich hier gar nicht länger zu suchen. Ich will nämlich keinen französischen Busen.

Ans deutsche Zauberkreuz will ich mich aber auch nicht schlagen lassen. Ich bin, das weiß ich jetzt ein für allemal, eindeutig „Einer für alle“-sozialisiert. Ohne Nähte, auseinandertreibende Formvorgaben und unheimliche Liftwirkung. Ich halte mich auch in Zukunft lieber an solche Modelle. Die haben nämlich so was Demokratisches.