"Ein gottbegnadeter Fußballer"

■ Nach dem verpatzten DFB-Pokalfinale hat der Russe Sergej Kirjakow vom KSC ein kleines und ein großes Ziel: Deutschland schlagen, Europameister werden

Karlsruhe (taz) – Wenn der ganze EM-Spuk vorbei ist, drüben auf der Insel, und Sergej Kirjakow zurückkehrt zu seinem KSC, wird Roland Schmider, oberster Präsident des Karlsruher Bundesligisten, erst einmal eine Rechnung mit seinem russischen Angestellten begleichen. Vom letzten Bundesligaspieltag gegen den VfB Stuttgart steht diese noch offen, als Kirjakow, den alle nur „Kiki“ rufen, seinen Gegenspieler ziemlich dumm in die Gebeine trat und dafür bestraft wurde mit der roten Karte. Daß der KSC eine Woche später das Pokalfinale deshalb ohne seinen rotgelockten Dribbelkönig bestreiten mußte, und Schmider während dieser für die Badener schaurigen 90 Minuten so manches Mal der Gedanke durch den Kopf jagte, wie es denn nun gekommen wäre, wenn „unser Kiki“ die bösen, bösen Kaiserslauterer ein bißchen durcheinandergewirbelt hätte, wird die Geldstrafe ganz bestimmt nicht kleiner machen.

Nachtragen will dem rotgelockten Russen das dennoch keiner beim KSC. Weil alle froh sind, daß Kiki endlich wieder so ist, wie er ist. „Ein Heißsporn“, sagt Schmider, „ein Schlitzohr.“ Vor allem aber: „Ein gottbegnadeter Fußballer.“ Einer, der abgehen kann ohne Ende, der den Motor dreht und dreht und dreht – und darüber manchmal nicht merkt, wenn er überdreht. „Ausraster“ nennt der Präsident das, wohl wissend, daß es den echten Kiki ohne wohl nicht gibt.

Den anderen Kirjakow, den unechten also, haben sie in Karlsruhe noch im Gedächtnis. Jenen, der kein spitzbübisches Grinsen im Gesicht hat, jenen, der nicht ständig zu einem Späßchen unter Kollegen aufgelegt ist, und jenen, dem selbst die Kraft zum Ausrasten fehlt. Eine ganze lange Bundesliga-Vorrunde ist der 26jährige neben sich hergedribbelt, aus der Bahn geworfen von privaten Problemen. Frau und Sohn haben ihn verlassen, kurze Zeit später machte Kiki Schlagzeilen im Boulevard. Von Kontakten zur Russenmafia war die Rede, und davon, daß er dem Wodka mehr zugetan sei, als ihm als Fußballprofi guttun konnte. Im Rückblick dementiert der Verein all diese Geschichten nicht prinzipiell, er relativiert sie. „Man weiß ja, daß solche Schlagzeilen drei- und vierfach übertrieben sind“, sagt Ede Becker, der Co-Trainer.

Es hat einiger Gespräche bedurft, um Kiki wieder aufzurichten. Cheftrainer Winfried Schäfer hat sie geführt und in ihnen mehr als einmal wiederholt, daß Kiki jetzt nicht aufgeben dürfe und daß die Form ganz bestimmt zurückkomme, wenn er nur wieder fleißig trainiere. Auch die anderen Tips des Fußballehrers sollten fruchten: In der Winterpause flog Kiki nach Moskau, um seine privaten Dinge zu regeln, als er zurückkam, zog er weg aus dem Reihenhäuschen, in dem er fast drei Jahre lang mit Frau und Kind gewohnt hatte. „Mit diesem Tapetenwechsel war auch ein Wechsel in seiner Leistung zu bemerken“, blickt Präsident Schmider zurück, und Co-Trainer Becker glaubt, daß der kleine Russe in dieser Zeit Abstand gewonnen hat „zu der Gesellschaft, die nicht unbedingt den besten Einfluß auf ihn hatte.“

Kiki selbst meidet den Rückblick. „Jeder Spieler hat gute Zeiten, und jeder Spieler hat schlechte Zeiten“, sagt er lapidar. Was gestern war, müsse man vergessen. „Wichtig ist, was jetzt ist“. Und jetzt sei wieder gute Zeit. Jetzt, das ist auch die EM, drüben auf der Insel, wo Kirjakow mit Rußland schon in der Vorrunde auf das deutsche Team trifft. Sergej Kirjakow hat seine sportlichen Ziele für die nähere Zukunft schon vor einiger Zeit formuliert. Eines davon war, „bei der EM mit Rußland gegen Deutschland zu gewinnen“. Das andere hat er sich durch die rote Karte am letzten Bundesligaspieltag selbst verbockt. Frank Ketterer