Ein Klo für achttausend Menschen

In den ausufernden Slums von Kenias Hauptstadt Nairobi schaffen es die staatlichen Behörden nicht, die Lebensbedingungen zu verbessern. Das machen die Leute jetzt lieber selber  ■ Aus Nairobi Andrea König

Der Regen hat die Straße aufgeweicht. Von Straße zu reden, ist euphemistisch; eine Schlammbahn zieht sich durch die Holz- und Wellblechbaracken des Slums Ngando in Kenias Hauptstadt Nairobi. Etwa 40 Prozent der offiziell zwei Millionen Einwohner Nairobis leben in Slums. Für die rund 25.000 Menschen in Ngando und im Schwesterslum Kimbo gibt es gerade drei Toiletten, duschen müssen sie im Freien. Vor der einzigen funktionierenden Wasserleitung warten leere Plastikkanister. Die übrigen Wasserleitungen sind jetzt, zur Regenzeit, wahrscheinlich die einzigen trockenen Orte in Ngando. Auch die verbliebene Leitung garantiert keine stetige Versorgung. „Seit zwei Tagen bekommen wir kein Wasser mehr“, sagt Margret Wanjiru und versucht, mit den wenigen Tropfen, die sie hat, sich den Schlamm von den Füßen zu waschen. Für ihren Wohnraum von etwas über zehn Quadratmetern bezahlt sie 600 Schilling im Monat – ein Viertel des Einkommens ihres Mannes.

Nairobi, die „grüne Stadt unter der Sonne“? Das ist lange her. Bürgermeister John King'ori seufzt: „Ich hätte heute gerne wieder mal an einigen Orten den Müll entsorgt, aber uns fehlen die Mittel.“ Seit 1992 konnten die Stadtbehörden keine neuen Müllsammelwagen mehr anschaffen; die alten versagen der Reihe nach den Dienst.

Der Stadtrat schätzt das jährliche Wachstum Nairobis auf sieben Prozent. „Um die Migration in die Stadt zu bremsen, müßten kleinere Zentren im Hinterland gefördert werden“, sagt King'ori. „Wir können mit dem Wachstum nicht Schritt halten.“ Das regierungsunabhängige Reach-Out-Project in Ngando hat recherchiert, daß täglich rund 300 Menschen in die Stadt ziehen und dazu in Nairobi 300 Babies zur Welt kommen.

Reach-Out-Project entstand in einer an den Slum angrenzenden Großgarage. Aus Sicherheitsgründen begannen die Garagenunternehmer, sich im Slum zu engagieren, um sich so Schutz für die Luxuswagen ihrer Kundschaft zu erkaufen. Slumjugendliche beseitigen jetzt den Müll in Ngando, und es entstehen kleine Verkaufskioske. „Die Kriminalität in diesem Slum hat seither eindeutig abgenommen“, versichert Sylvester Owino, selbst im Slum großgeworden, heute Projektverantwortlicher von Reach Out. Und Robert Kariuki, Landschaftsarchitekt und Dozent an der Universität von Nairobi, meint, solche Projekte seien der richtige Weg: „Wir dürfen uns nicht damit begnügen, uns zu beklagen. Die Gemeinschaft muß ihren Beitrag zur Verbesserung leisten, das ist auch ein Teil des Demokratisierungsprozesses.“

Nach Jahren der Einparteien- Regierung durch die Staatspartei Kanu, als Mitsprache kein Thema war, keimten mit der Einführung der Mehrparteiendemokratie 1992 große Hoffnungen. Der damals gewählte Stadtrat – erstmals mit Mitgliedern aus Oppositionsparteien – suchte den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern. Ein Jahr nach den Wahlen fand die erste „Nairobi City Convention“ statt, an der rund 1.200 Interessierte teilnahmen. 1994 wurde Bürgermeister Steve Mwangi von John King'ori von der oppositionellen Ford-Asili-Partei abgelöst.

Die damalige Aufbruchsstimmung ist seither zum Katzenjammer verkommen. Selbst einfache Dinge wie der Kauf von Müllwagen oder die Reparatur der Straßenbeleuchtung müssen mit dem Ministerium für Lokalverwaltung diskutiert werden, das fest in der Hand der Regierungspartei Kanu ist. Die Folge: dauernder Kompetenzstreit. „Zwei Beispiele: Die Polizei wird von der Zentralregierung geführt, wir haben überhaupt keinen Einfluß auf sie. Oder Land: Teilweise gehört es der Stadt, teilweise dem Staat. Eine einheitliche Planungspolitik ist schwer durchzusetzen“, erklärt King'ori.

Menschenwürdiges Wohnen wird so für viele ein Traum bleiben. Der Architekt Kariuki: „Die unterentwickelten Länder können unmöglich Wohnen zu einem Menschenrecht erklären. Die Slums, so wie sie existieren, sind die Wohnräume für die arbeitende Bevölkerung in unserer Stadt, sie entsprechen deren Mitteln. Es hat keinen Sinn, ihnen teure Häuser hinzustellen, die sie sich gar nicht leisten können. Hingegen kann man die Slums planen: mehr öffentlichen Raum schaffen, Spielplätze, Erholungsräume. Wichtig ist, daß die Menschen in der Stadt sich nicht als Fremde fühlen.“