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Kontakt von Herz zu Herz

■ Seit Jahren informiert ein Bremerhavener in Osteuropa über Energie- und Umweltfragen . Der Greenpeacer lernt dabei selbst sehr viel: „Es gibt überall Menschen, die die Welt als Ganzes sehen.“

Seit fast zehn Jahren reist Lutz Weseloh in einem riesengroßen Greenpeace-Bus durch Osteuropa und klärt über Umweltfragen auf. Vor kurzem kehrte der bremerhavener Umweltfreak aus Weißrußland zurück. Die taz wollte wissen, wie Ost und West den Dialog über Umweltschutz in Tschernobyl führen.

Lutz Weseloh: Alle Menschen sollten mal nach Osteuropa fahren – einfach um diese Welt kennenzulernen. Auch wenn die Länder auf den ersten Blick gar nicht so attraktiv erscheinen. Wenn man da ist, begreift man, was da politisch abgelaufen ist.

Du fährst ja hin, um die Menschen aufzuklären.

Ich fühle mich nicht als Lehrer dort, auch wenn das sehr oft so gesehen wird. Ich versuche, mir Mühe zu geben und die Leute dort zu verstehen. Und ich möchte, daß wir einen Konsens finden.

Wie sieht das denn in der täglichen Arbeit aus?

Wir werden mit unserem Bus von den Greenpeace-Leuten dort eingeladen. Das kann bei einer Energietour sein, die ich schön öfter in der Ukraine und in Rußland gemacht habe. Dafür treffen wir uns beispielsweise in Kiew, wo die dortigen Greenpeacer die Tour konzipiert haben. Klar, es ist ihr Land, und sie gehen mit mir auf die Reise. Außerdem beherrsche ich die russische Sprache bis auf ein paar Brocken leider immer noch nicht. Wir machen die Informationsarbeit also in englisch, was die jungen Leute ja in der Schule lernen. Viele Leute in der Ukraine sprechen auch deutsch. Wenn es überhaupt nicht klappt, wird übersetzt.

Gezielt wollen wir mit den Leuten natürlich über die Atomkampagne sprechen und über Aternativen, um aus der Misere herauszukommen. Wir möchten auch sagen, wie wir die Aternativen sehen. Aber wir können das Problem nicht nur im Westen lösen. Außerdem suchen wir auf unsere Philosophie natürlich ein Feed-Back: Habt Ihr andere Alternativen, wie kommen wir gemeinsam raus? Wir führen sehr viele Gespräche, die ganz unten anfangen.

Manchmal bin ich umringt von menschen, die von mir vor allem wissen wollen, wie's im Westen aussieht. Die meisten sind ja im Leben noch nicht im Ausland gewesen. Über die Medien hören sie zwar mittlerweile einiges. Aber es gibt ein Riesen-Nachholbedürfnis.

Wenn Ihr als GreenpeacerInnen über Land fahrt, ist den Leuten klar, woher ihr kommt und was Greenpeace will?

Das ist ganz unterschiedlich. In den größeren Städten arbeiten Unterstützergruppen so wie hier. Obwohl vieles schwieriger zu organisieren ist. Aber wie schwer haben wir es gehabt, vor 15, 20 Jahren gegen die Atomkraft zu kämpfen. Wir sind niedergeknüppelt worden.

Als ich vor vier Wochen zum Tschernobyltag in der Ukraine war, hat sich an dem Tag die ganze Welt dort getroffen. Eine Menge Leute jedenfalls, Philosophen, Wissenschaftler, Demonstranten aus allen Ländern, die vor allem zeigen wollten: Wir wollen etwas ändern. Tschernobyl ist nicht nur ein europäisches oder ein ukrainisches Problem, sondern ein Weltproblem – und es ist ein Mahnmal. Die ukrainische Politik ist sehr pro Atomkraft eingestellt, wie alle osteuropäischen Länder. Ich muß dazu sagen, es auch schwierig, sofort den Ausstieg zu Alternativenergien zu schaffen. Wenn man nur die Bausubstanz der Häuser betrachtet oder beobachtet, wie Menschen dort mit Energie umgehen, kann man's kaum glauben. Da wird Energie auf unvorstellbare Weise verschwendet. Das Wasser auf den Toiletten zum Beispiel läuft den ganzen Tag. Es gibt ja so gut wie keine Ventile zu kaufen. Und wenn es doch möglich ist, sagen wir einen Thermostat zu kaufen, dann können die Menschen sich das nicht leisten. Sie fangen erst jetzt an, über Energie nachzudenken. Bisher hat das dort ja der Staat bezahlt – ob Kinder oder Erwachsene, niemand hat je daran gedacht, Strom zu sparen. Das ist heute natürlich das Argument für die Kraftwerke.

Ihr beratet also über Thermostate und Ventile?

Ja, auch darüber, ob man zum Wassersparen einen Stein in den Spülkasten legt, sprechen wir. Aber wir zeigen auch Solarmodelle, zu denen die Menschen in Scharen kommen. Manche wollen uns auch ihre Patente geben und ich habe schon Zeichnungen mitgenommen und Adressen von Westfirmen verteilt. Den Leuten hilft ja niemand.

Kommen die NormalbürgerInnen weniger zu Euch?

Zum Teil sind schon Sonderlinge unter unserem Publikum – so wie wir früher auch als Ökospinner belächelt wurden. Mit einem Unterschied: Uns gings ja gut hier. Die Leute in Rußland der in der Ukraine können sich dagegen kaum ihr Essen kaufen. Das Leben ist dermaßen schwer, da lassen viele die Arme hängen und fragen, –was sollen wir denn machen?'. Manchmal hab' ich gesagt, Mensch wehrt Euch. Da lachen sie und fragen: 'Wogegen? Diese Woche ist es so, nächste Woche ist es anders.'

Aber zu uns kommen natürlich auch arme Menschen, die Hilfe erwarten. Die wissen, Greenpeace arbeitet in 31 Ländern der Welt und denken wir könnten was für sie tun. Die kennen die Strukturen von Greenpeace nicht. Einmal kam ein Mann, der war als Liquidator in Tschernobyl gewesen. Einer der ersten, die im AKW aufräumen mußten. Er lebte noch, aber er war todkrank. Dieser Mann hatte zum Beispiel die Idee, wir sollten eine Statue in Kiew errichten – für alle LiquidatorInnen die noch leben und die gestorben sind. Als Mahnmal für die Zukunft. Das ist gefühlsmäßig sehr hart, wenn man sowas absagen muß, zumal diesen Leuten in Rußland zugleich Renten gekürzt werden.

Wenn Ihr Eure Energie-Tour macht, erwarten die Leute, daß über das Gau von Tschernobyl gesprochen wird?

Eher nicht. Eine Hausfrau hier denkt ja beim Thema Energie auch nicht gleich ans Atomkraftwerk Unterweser. Jedenfalls: So pauschal kann man die Erwartungen der Leute nicht bezeichnen. Einige der Menschen wollen sich selbst aufklären. Die sind sehr froh, nicht nur aus ihrem Land Informationen zu bekommen, sie sind ja teilweise sehr skeptisch der eigenen Regierung gegenüber – was man nachvollziehen kann.

Da hast du als deutscher Greenpeacer eine besondere Funktion.

Als ich das erste Mal in Rußland war, dachte ich, ich würde nicht viel mit den Leuten zu tun haben. Aber dann wurde ich überall, wohin ich kam, an der Wolga, in Kasachstan, in Gebieten, wo kein Tourist mehr hinkommt, gefragt: –Was ist im Westen los, was passiert da eigentlich?' Ich sehe unsere Arbeit nicht so klassisch wie sie mal begonnen hat, nach dem Motto: Da ist das böse Chemiewerk, da kommt der Dreck raus, da müssen wir was machen. Für mich fängt Umweltschutz in der zwischenmenschlichen Beziehung an, indem ich anderen die Chance gebe, mir etwas zu sagen, was mit der Kampagne nichts zu tun hat. Einfach Kontakt aufnehmen. Von Herz zu Herz. Ich habe auf meinen Touren gelernt, daß man an Menschen nicht so herangehen darf, –Ich will Dir was sagen, Du kannst das und das besser machen'. Ich bin überzeugt, daß mir das oft gelungen ist, obwohl es ja noch die Trennung zwischen Ost und West gibt. Trotzdem spürt man, ob man aneinander vorbei redet. Schon wie die Menschen sich bedanken für ein Gespräch oder eine Information, das hat mich oft gerührt. Ich habe von einer Frau eine Kette mit einem Blutstropfen geschenkt bekommen. Das sind Dinge, die man im Westen nicht erlebt. Diese Herzlichkeit unter diesen relativ schlechten Bedingungen bedeutet für mich, daß die Menschen sehr genügsam sind. Sie haben es nicht verdient, in solch einer Armut zu leben. Das ist mit Worten schwer zu erklären, deswegen sage ich oft: Fahrt einfach mal hin. Überall sind Menschen die Frieden wollen und so denken und fühlen wie wir.

Fragen: Eva Rhode

was man nachvollziehen kann.

Da hast du als deutscher Greenpeacer also eine besondere Funktion.

Als ich das erste Mal in Rußland war, dachte ich, ich würde nicht viel mit den Leuten zu tun haben. Aber dann wurde ich überall, wohin ich kam, an der Wolga, in Kasachstan, in Gebieten, wo kein Tourist mehr hinkommt, gefragt: –Was ist im Westen los, was passiert da eigentlich?' Ich sehe unsere Arbeit nicht so klassisch wie sie mal begonnen hat, nach dem Motto: Da ist das böse Chemiewerk, da kommt der Dreck raus, da müssen wir was machen. Für mich fängt Umweltschutz in der zwischenmenschlichen Beziehung an, indem ich anderen die Chance gebe, mir zu sagen, was mit der Kampagne nichts zu tun hat. Einfach Kontakt aufnehmen. Herz zu Herz. Ich habe auf meinen Touren gelernt, daß man an Menschen nicht so herangehen darf, –Ich will Dir was sagen, Du kannst das und das besser machen'. Ich bin überzeugt, daß mir das oft gelungen ist, obwohl es ja noch die Trennung zwischen Ost und West gibt. Trotzdem spürt man, ob man aneinander vorbei redet. Schon wie die Menschen sich bedanken für ein Gespräch oder eine Information, das hat mich oft gerührt. Ich habe von einer Frau eine Kette mit einem Blutstropfen geschenkt bekommen. Sie war Mitglied in einer Organisation wie das Rote Kreuz oder so. Das sind Dinge, die man im Westen nicht erlebt. Diese Herzlichkeit unter diesen relativ schlechten Bedingungen bedeutet für mich, daß die Menschen sehr genügsam sind. Sie haben es nicht verdient, in solch einer Armut zu leben. Das ist mit Worten schwer zu erklären, deswegen sage ich oft: Fahrt einfach mal hin. Überall sind Menschen die Frieden wollen und so denken und fühlen wie wir.

Mit einem Freund zusammen habe ich einmal zehn Leute eingeladen. Ich sage immer, wir können auch ohne Greenpeace nach Rußland fahren, aber in Rußland liegt die Fahrkarte einfach nicht drin. Da haben wir ein bißchen gespart und die russischen Freunde kamen für eine Woche nach Bremerhaven. Denen hat die kleine, saubere Stadt ganz toll gefallen. Freunde hatten mich gewarnt und gesagt, das könnte ich doch nicht tun. Aber ich hatte das doch auch erlebt. Als ich das erste mal in Minsk im Supermarkt war, konnte ich nicht glauben, daß da nichts drin war. Ich hab genauso fassungslos dagestanden. Warum sollen die nicht unseren Überfluß genauso betrachten? Man soll ihnen die Chance geben auch wenn sie das Geld nicht haben. So lernen alle, es gibt überall Menschen, die sich viel, viel Gedanken machen und die Welt als Ganzes sehen. Fragen: Eva Rhode

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