"Das kann deine Sekretärin auch"

■ Damit sich niemand beim Lesen langweilt, betreibt David Carson die Graphik als Extremsport

David Carson (setzt sich auf eine Mülltonne): Aber nicht, daß nachher wieder von „Trash Design“ die Rede ist. (Deutet auf ein Graffito an der Hausmauer) Ich kann das nicht lesen. Was heißt das?

taz: Vielleicht ist das eine Imitation eines Ihrer Zeitschriften- Layouts. Die können auch viele nicht entziffern. Im Augenblick gibt es ja kaum eine Publikation, die nicht ein kleines bißchen unlesbar ist. Ist der Carson-Stil übertragbar?

Ich weiß gar nicht, was das sein soll, der „Carson-Stil“. Was ich will, ist eine emotionale Reaktion des Lesers. In Speak, meinem neuen Magazin, haben wir eine Story über die Band „Cornershop“ aus London. Der Artikel sieht wirklich aus wie der Ramschladen um die Ecke: Es gibt ein Gedicht des Leadsängers, ein indisches Kochrezept, ein fiktives Interview mit Fjodor Dostojewski, und auf derselben Doppelseite fangen plötzlich mehrere neue Artikel an... Wenn du die Seite aufschlägst und sagst „Wow! Was passiert hier?“, dann habe ich mein Ziel erreicht.

Wenn Sie Hand an eine Zeitschrift legen, wird die Lektüre zum Extremsport.

Die Arbeit muß immer den Charakter des Designers widerspiegeln. Wer wütend ist, zerfetzt die Textblöcke. Wer humorvoll ist, stellt sie auf den Kopf. Wenn ich nur eine gediegene, weiße Seite in strenger Typographie und ordentlichen Spalten abliefere, scheint mir der Leser offensichtlich egal zu sein. Damit verliere ich ihn. Bei einem aufregenden Layout blättert er nicht mehr einfach nur weiter, sondern verweilt ein bißchen. Eine Zeitschrift muß mit anderen Medien wie Fernsehen oder Computer konkurrieren.

Beim computergenerierten Layout wird mit Kästchen gearbeitet, die sich am Bildschirm per Mausklick verschieben lassen. Beeinflußt diese Arbeitsweise das Design?

Beim Layout einer Zeitschrift besteht heute automatisch der Zwang zum Experiment. Das Publikum ist von CD-Covern umgeben, es sieht sich MTV-Videoclips an. Das müssen Publikationen gestalterisch berücksichtigen. Nehmen wir als Beispiel diese Kästchen, die sogenannten Boxes. Normalerweise sind sie in der fertig konstruierten Zeitschriftenseite nicht mehr zu sehen. Dabei sehen sie visuell sehr stimulierend aus. Sie können sich überlagern oder irgendeine andere Struktur bilden. Warum sollte man sie also nicht einfach im Layout stehenlassen?

Die Folgen sind bekannt. Was sagen denn die Autoren zu dieser Form der Verfremdung?

Anfangs haben sie sich beschwert, daß ihre Texte nicht zu entziffern seien. Inzwischen beschweren sie sich, wenn die Artikel lesbar sind: Was ist los, hat dir nicht gefallen, was ich geschrieben habe? Dann sage ich ihnen: Ja, weißt du, wir hatten da einen noch aufregenderen Artikel. In den haben wir auch mehr Zeit investiert. Deiner war eben nur ganz nett. Wenn das den Autoren nicht gefällt, schreiben sie auch nicht mehr für uns.

Dann sind Sie also Art-director und Chefredakteur in einer Person?

Natürlich ist mir der Inhalt eines Artikels wichtig. Warum wäre ich sonst Designer? Das kann auch deine Sekretärin machen. Sie kann sich dieselbe Software kaufen – wo ist da der Reiz? Wenn da nicht mehr ist, was du selbst einbringen kannst, dann laß deinen kleinen Bruder ran.

„If it looks good, it is good“ steht auf dem Cover der ersten Ausgabe von Speak. Das klingt nicht, als ob es ironisch gemeint sei.

Hinter Speak steht das Konzept, daß die Präsentation genauso wichtig ist wie der Inhalt. Erst dann entsteht kraftvolle und effektive Kommunikation. Alles andere ist Nothing-Layout. Getting the message across, darum geht es. Wir haben in Speak zum Beispiel einen Artikel über die Minengefahr. Wie bringt man den Kindern in Kambodscha, Laos oder Angola bei, daß sie bestimmte Zonen meiden sollten, weil dort Landminen im Boden verborgen sind? Das können nur visuelle Botschaften leisten, etwa auf Postern, T-Shirts, Stickern oder Kappen.

Was war denn der Grund dafür, daß in einem früheren Artikel über die Popgruppe Roxy Music, den Sie gestaltet haben, unentzifferbare geometrische Zeichen statt Buchstaben zu sehen waren? War das nun Gestaltung oder eher das Gegenteil davon?

In diesem Fall war der Artikel extrem langweilig, noch dazu schlecht geschrieben. Ich habe ihn in eine Typographie gesetzt, die „Zapf Dingbat“ heißt und ausschließlich aus Symbolen besteht. Es war der komplette Artikel, man hätte ihn bloß erst decodieren müssen, um ihn lesen zu können. Was nur wenige wissen. Wir haben ihn auf der letzten Seite derselben Ausgabe noch einmal in einer lesbaren Variante abgedruckt.

Sie werden oft plagiiert. Man könnte einen ganzen Katalog zeittypischer Carson-look-a-Likes herausgeben. Was halten Sie denn von Copyright?

Bekannte zeigen mir oft die Layouts anderer und sagen, schau dir das an, die haben von dir geklaut. Wenn ich mir diese Arbeiten dann ansehe, fällt mir immer etwas auf, das anders ist. Also: Ein Katalog mit den ganzen Kopien macht wenig Sinn. Immerhin könnte ja eines fernen Tages jemand ein fünfzig Jahre altes Layout finden, das meinen ähnelt. Jeder klaut ein bißchen. Manche allerdings mehr als andere. Dann muß ich mich immer etwas wundern.

Sie drehen Clips für Coca-Cola, American Express und Nike. Früher gehörten Sie zu den acht weltbesten Surfern, waren ein Außenseiter in der Branche. Wo ist der Underground geblieben?

Oh, es gibt immer noch Leute, die eine Heidenangst vor mir haben, gerade unter meinen eher konservativen Klienten. Und viele der klassisch ausgebildeten Typographen hassen meine Arbeit regelrecht. Als Außenseiter fühle ich mich heute noch. Diese Geschichten sind immer so schnell erzählt: Früher hätte ich unlesbare Magazine gestaltet, heute würde ich Werbefilme für Banken oder Telefongesellschaften drehen. Wirf mal einen Blick in Speak!

Bevor Ihre Karriere begann, haben Sie sich an den Stränden Kaliforniens herumgetrieben. Surfen Sie heute durchs World Wide Web?

Nein, ich finde die Möglichkeiten derzeit zu begrenzt. Ich habe zwar schon Seiten im Net gestaltet, als ob es ganz normale Zeitschriftenseiten wären, um sie aber auf die Internet-Umlaufbahn zu schicken, mußte ich mir einen Techniker kommen lassen. Außerdem dauert alles so lange und überall gibt es Beschränkungen. Zum Surfen ist mir das Internet wirklich zu langsam.

Das Gespräch führte Holger Liebs