Der Terrier hat einen Floh im Ohr

■ Für den DFB wird die EM in die Hose gehen. Grund: Berti Vogts

Früher, als die Grundschule noch Volksschule hieß, hatten es Brillenträger gut. Während die Unbotmäßigkeiten der anderen Tunichtgute mit donnernden Kopfnüssen oder quälendem Ohrendrehen geahndet wurden, schonte man sie. Brillenträger schlägt man nicht. Ebensowenig die Kleinen, Schmächtigen. Berti Vogts hat Glück, daß er keine Brille trägt, denn dann wäre er ein Schmächtiger mit Brille. Während der EM in England wird es trotzdem wieder Kopfnüsse setzen.

Obwohl er von der Typologie her einer von denen ist, die man schont. Das gilt allerdings nur dann, wenn sie sich mit ihrer Rolle begnügen und nicht in Positionen drängen, in denen Einstecken und Austeilen zu den Primärtugenden gehören. Eine Erkenntnis, zu der sich Berti Vogts (49) noch nicht durchgerungen hat, denn sonst wäre er längst nicht mehr Trainer der Fußballnationalmannschaft. Sonst hätte er sich längst eingestanden, daß er als Trainer allerhöchstens Durchschnitt ist. Genauso durchschnittlich, wie er es als Fußballer war.

Allerdings ein höchst erfolgreicher Durchschnitt, wie man anerkennen muß. Konzentriert war er, fleißig und bissig. Der Terrier. Selten hat ein nom de guerre seinen Träger so präzise charakterisiert. Berti hat seinen Gegenspielern das Leder unter Einsatz seines Lebens abgeknöpft und es den Großen, also Netzer und Beckenbauer, zur genialen Verteilung serviert.

Irgendwer setzte ihm den Floh ins Ohr, er sei zu mehr fähig. Zu führen, eine große Mannschaft zu formen. Wahrscheinlich steckt DFB-Präsident Egidius Braun dahinter, der den kleinen Vogts sozusagen adoptiert hat. Braun ist einer, der allen Ernstes sagt: „Ich erwarte von einem Nationalspieler, daß er sich so verhält, daß Kinder sich ein Beispiel an ihm nehmen können.“ Ein Satz, der vom Bundestrainer stammen könnte und eine Ahnung vermittelt, mit welcher Art von Realitätsferne die beiden geschlagen sind.

Ein idealer Nationaltrainer ist dazu da, die Fähigkeiten der Spieler und ihre Gier nach Erfolg innerhalb eines bestimmten Zeitraumes für seine Zwecke zu nutzen. Dazu gehört absolutes Vertrauen in den eigenen Instinkt, das Wissen, wann jener Spieler zu puschen und die Hoffnungen eines anderen brutal zu zertrümmern sind. Die Fähigkeit, Konflikte zu säen und sie dann auch auszuhalten.

Von solchen Qualitäten ist Berti Vogts kilometerweit entfernt. Er ist eingeschweißt in seine Ehrlichkeit und seinen prima Charakter – oder was er dafür hält. Berti weiß nämlich ganz genau, wie sie alle heißen, die hohen Werte. Dafür mißtrauen ihm alle, die wissen, daß das nicht so einfach ist mit den hohen Werten. Hinter denen sich immer die zuerst verschanzen, die vor den Unberechenbarkeiten unseres Lebens die meiste Angst haben. Und Angst hat Berti zur Genüge. So viel, daß er einem manchmal richtig leid tut.

Wenn er vor die Mikrofonkanone eines Reporters muß, der nicht Jörg Wontorra heißt. Dann legt er die Ohren an und zieht den Kopf zwischen die Schultern: „Ich war's nicht.“ Er wartet auf die Kopfnuß, die er auch prompt kassiert. Schön ist das nicht und wahrscheinlich auch nicht fair gegenüber dem harmlosen Menschen Vogts. Leider geht das Spiel nun mal so: Wer sich weit nach vorn wagt, muß einstecken können. Wenn er nicht scharf und mit der nötigen Perfidie dagegenhalten kann. Oder eine Haut hat wie ein Elefant. Trainer Vogts kann nicht und hat nicht. Diese EM wird kein Zuckerschlecken für ihn. Trotz oder gerade wegen der taktischen Raffinessen, die der Bundestrainer seinem Team noch rasch einbleuen möchte. Nach dem ersten Mißerfolg wird die marmorne Kameradschaft wie löchriger Sandstein zerbröseln. Werden die bereits köchelnden Gifttränklein derer von Scholl und Basler zur Verabreichung bereitstehen.

Also: Wenn nicht alles absolut rund läuft, wird diese EM in die Hose gehen. Weil die Mannschaft keinen zu bieten hat, der sich in der Krise erst richtig wohl fühlt und das Ding in die Hand nimmt. Und: weil Berti Vogts so ist, wie er nun mal ist. Albert Hefele