Wattenmeer wird zum Toten Meer

■ Wissenschaftler entdecken riesige tote Flächen im niedersächsischen Wattenmeer. Zehn Prozent der Wattfläche vor Ostfriesland sind wegen Sauerstoffmangels abgestorben. Mutmaßliche Ursache ist Überdüngung

Hannover (taz) – Im niedersächsischen Wattenmeer haben Wissenschaftler neue, bis zu mehrere Quadratkilometer große „schwarze Flächen“ im Wattboden entdeckt, in denen alle Fauna und Flora stirbt. „Das Watt zwischen Ostfriesland und den vorgelagerten Inseln kippt auf großen Flächen um“, schlug gestern das Umweltministerium in Hannover Alarm.

Die „schwarzen Flächen“, auf denen im Boden lebende Muscheln und Krebse absterben, seien eindeutig ein Zeichen von Sauerstoffmangel im Boden, erklärte die Sprecherin von Niedersachsens Umweltministerin Monika Griefahn gestern in Hannover. „Das neue Phänomen wird seit zehn Tagen an der Nordsee beobachtet, und wir stehen ihm relativ ratlos gegenüber“, so die Sprecherin. Für den Auslöser der bedrohlichen Entwicklung gebe es noch keine Erklärung. Allerdings seien sich die Wissenschaftler einig, daß die hohe Nährstoffbelastung der Nordsee Ursache der „schwarzen Flächen“ sei.

Von den kilometerlangen abgestorbenen Flächen haben die niedersächsischen Umweltbehörden nach zwei Flügen über das Watt eine regelrechte Landkarte gefertigt. Demnach sind bisher etwa zehn Prozent des Watts vor der Küste Ostfrieslands abgestorben. Die toten Stellen befinden sich meist erst etwa in einem Kilometer Entfernung von der Küste und den Inseln, liegen aber mitten im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Einzelne „schwarze Flächen“ gibt es auch im übrigen Wattenmeer, etwa in der Wesermündung. Auf diesen Flächen verbreiten nach Angaben des Umweltministeriums Fäulnisbakterien den unangenehmen Geruch von Schwefelwasserstoff.

Bereits in den vergangenen Jahren hatte die Überdüngung der Nordsee im Zusammenhang mit Algenblüten zu sogenannten „schwarzen Flecken“ geführt, die allerdings nur die Ausdehnung von mehreren Quadratzentimetern bis zu einem Quadratmeter hatten. Die größeren Tiere hatten daher die Möglichkeit, sich von dort zu entfernen. Erstmals sterben in diesem Jahr nun auch größere Wattlebewesen ab – bei ihrer Verwesung führen sie dem Boden noch zusätzlich Nährstoffe zu. Nach Angaben des Chefökologen der Nationalparkverwaltung, Hubert Farke, könnte der harte Winter ein möglicher Auslöser, aber keineswegs die Ursache der dramatischen Entwicklung sein: Die ersten in diesem Jahr entdeckten Flecken bildeten sich vorzugsweise um abgestorbene Muscheln herum, die den Eiswinter nicht überstanden hatten. Ein solches Absterben von Muscheln sei allerdings ein natürliches Phänomen, das bisher noch nie zu negativen Folgen geführt habe. Laut Farke könnten die „schwarzen Flächen“ die Bemühungen um den Erhalt der Natur im Nationalpark zunichte machen. Eine Prognose über die weitere Entwicklung sei sehr schwierig, weil jetzt auch die Makrofauna absterbe. Jürgen Voges Kommentar Seite 10