Ästhetik plus Akrobatik

■ Hamburger Voltigier-Meisterschaften in Howe in den Vier- und Marschlanden Von Torsten Schlemm

Der Reiterhof Riechert am Kirchwerder Elbdeich ist ungewöhnlich belebt. Rund 500 Menschen bevölkern bei tropischen Temperaturen die Stallungen, Kinderaugen leuchten, als ein Fohlen des Weges kommt. Vor der großen Turnierhalle steht indes ein vereinsamter Imbißwagen. „Ich hab' heute erst drei Bier verkauft, und die Würstchen gehen auch nicht“, klagt der Inhaber. Das überrascht nicht, besteht doch das interessierte Publikum in der Halle vor allem aus jungen Mädchen. Und die haben momentan ganz andere Sorgen, als an kulinarische Verköstigungen zu denken: „Im Galopp ist sie einfach nicht richtig hochgekommen“, weiß eine 6jährige sachverständig zu berichten.

Am Wochenende fanden in Howe die Hamburger Meisterschaften im Voltigieren statt. Da drängt sich für weniger Fachkundige natürlich zunächst einmal die Frage auf, was denn Voltigieren überhaupt ist? „Das sind turnerisch-akrobatische Übungen auf dem Pferd“, klärt Turnierleiterin Ines Steinberg auf. Die Darbietungen sind jeweils in Pflicht und Kür unterteilt, zudem werden neben den Aktiven auch Pferd und Ausbilder bewertet.

Voltigieren, 1920 sogar einmal eine olympische Disziplin, schläft einen Dornröschenschlaf. Kaum einmal gibt es Berichte in den Medien: „Bei Weltmeisterschaften gibt's vielleicht mal zwei Minuten im Fernsehen“, weiß Ines Steinberg zu berichten. Das ist unverständlich, denn was die Aktiven auf den Rücken der Pferde bieten, ist allemal ebenso ästhetisch wie akrobatisch. Das sei aber nicht das Wichtigste, betont die 29jährige, es gehe vor allem um den Zusammenhalt zwischen Tier und Gruppe: „Die Kinder lernen, sich in eine Gemeinschaft einzugliedern und Rücksicht auf das Tier zu nehmen“.

Womit wir beim Hauptdarsteller des Voltigiersports wären, ohne den gar nichts ginge: das Pferd. „Charakterlich einwandfreie“ und kräftige Tiere mit einer ruhigen, ausgeglichenen Galoppade sollten es sein. Das Tier als Sportgerät? „Keinesfalls“, versichert Ines Steinberg, „dieser Vorwurf trifft beim Voltigieren nicht zu.“

So gibt es vor jedem Wettkampf eine freiwillige Verfassungsprüfung, um den Sport vor derartigen Vorwürfen zu bewahren. Zudem bildet der Dachverband, der Deutsche Voltigier-Zirkel, regelmäßig Arbeitskreise, in denen tierärztliche und krankengymnastische Kritik angehört und in der Sportart umgesetzt werden.

Das interessiert den Voltigier-Nachwuchs aber nur am Rande: „Für die Musik ist er etwas zu schnell gegangen“, kritisiert ein achtjähriges Mädchen mit Kennermiene eine Darbietung. Und geht sich, wenn schon keine Bratwurst, so doch wenigstens ein Eis kaufen.