Fleisch auf Mondrians alte Knochen

■ In der Städtischen Galerie: Was machen heute die acht Holländer, die vor 11 Jahren in der Weserburg ausstellten? Minimalismus mit neuen Facetten

Als harmlose Hintergrund-Dekoration in der Haarspray-Reklame genießt die Kunst Piet Mondrians ja heute weite Verbreitung. Eine Form der Anerkennung, die den Meister selbst wohl an seiner Kunst hätte zweifeln lassen. Zeitlebens hat der niederländische Minimalist um Akzeptanz für seine abstrakte Malerei kämpfen müssen. Mit dem Einzug seiner roten, blauen und gelben Farbflächen ins Werbefernsehen („Studio Line von L'Oreal!“) scheint Mondrian sich nun posthum endgültig durchgesetzt zu haben – bzw. erledigt.

Im Geburtsland des modernen Meisters sieht man das allerdings anders. In vielen Arbeiten holländischer Zeitgenossen schimmert immer noch die Auseinandersetzung mit dem Erbe Mondrians durch. Auch, wenn die Künstler selbst das gern bestreiten. In einer Gruppenausstellung gibt die Städtische Galerie in Bremen jetzt einen Überblick über das Schaffen von acht Holländern, die dem Minimalismus immer wieder neue Seiten abgewinnen.

Nicht zum ersten Mal werfen die kunstinteressierten Bremer einen Blick über die Grenze. Am guten Draht zwischen den Nachbarn hat vor allem Hermann Jacobs entscheidenden Anteil. Der Bremer Galerist („Galerie im Winter“) liebt und hegt die Holländer seit Jahren in seinem Programm. Er stellte die Wanderschau „8 Nederlandes nu“ fürs deutsche Publikum zusammen – vor 11 Jahren in der Weserburg zu sehen.

Mondrian in der Haarspray-Reklame

Jetzt hat Jacobs sein Kunststück wiederholt: Für die Städtische Galerie brachte er die jungen Künstler von damals noch einmal zusammen. Um zu sehen, wie sich die acht Niederländer entwickelt haben – und was aus Mondrians Erbe geworden ist.

In die alte, breite Schublade „Minimalismus“ möchten die Künstler, inzwischen fortgeschrittenen Alters, natürlich nicht einsortiert werden. „Wir machen eine sehr analytische Kunst“, schlägt der Maler Jaap van de Ende zur Begriffsbildung vor. Analytisch im Sinne von: raffiniert durchdacht und konsequent ausgeführt. Auf die geometrischen Raster Mondrians möchte man heute keinesfalls mehr reduziert werden. Galerist Jacobs hält dagegen: Er kenne seine Holländer; „da wächst sowieso alles nur waagerecht und senkrecht.“

Womit er ziemlich recht hat. Immer noch bilden klare, geometrische Raster das Gerüst für die Bilder und Objekte. Streng rechtwinklig ist die Welt z.B. beim Bildhauer Cor van Dijk. Aus präzise gegossenen Stahlträgern setzt er seine Bodenobjekte zusammen. Wie Mondrian feine schwarze Linien einsetzte, um auf der Leinwand den imaginären Raum seiner Farbflächen zu markieren, so umschließt van Dijk mit seinen Stahlwinkeln den realen (Galerie-)Raum. Kleine, aber entschiedene Setzungen mit großer Wirkung: Man sieht, wie die Prinzipien des Minimalismus doch immer noch bestens funktionieren, wenn sie so konsequent in Szene gesetzt werden wie hier.

Minimalismus funktioniert noch

Von solcher Strenge sind allerdings nur noch wenige Arbeiten. Auf die Knochen von Mondrians Skelett wird Fleisch gepackt. Mit sehr reduzierten Objekten war Jan van Munster vor 11 Jahren nach Bremen gekommen: Drahtstäbe, die im Zickzack den Raum durchmaßen. Jetzt hat seine Kunst mehr Körper. Eine schwere, zugleich fragile Eisskulptur steht in der Eingangshalle der Galerie. Ein gut verborgenes Kälteaggregat hält die Kunst in Form. Ein kühl konzipiertes Kunststück mit einer klaren Form, die auch sinnlichen Genuß vermittelt – allerdings: Berühren ist bei dem ästhetisch äußerst reizvollen Objekt verboten.

Sonst wäre seine Schönheit nämlich bald geschmolzen und dahin.

Am weitesten in gegenständliche Gefilde wagt sich inzwischen Jaap van de Ende vor. Die Konturlinien seiner Malerei sind zwar tatsächlich brav waagerecht und senkrecht ausgeführt. Aber über dieses konstruktive Gerüst malt er Straßenszenen, Porträts, Stadtpläne – eine bunte, vielschichtige Landschaft. So kommt Leben in die Minimalkunst.

Eine Entwicklung, die selbst Mondrian gut geheißen hätte. Als der Meister im New Yorker Exil plötzlich die formalistische Strenge aufgab, die seine Kunst bis dato geprägt hatte, und seine Raster auf einmal vor Leben und Bewegung zu vibrieren schienen, gab er zu: „Ja, jetzt ist mehr Boogie-Woogie drin.“ Thomas Wolff

„8 Nederlandes nu“, bis 30. Juni, Städtische Galerie im Buntentorsteinweg 112