■ Vorschlag: "Falling Tea Cups" - Fünf Performances von Lindy Annis
Berühmt wurde sie im Fahrstuhl. Lindy Annis, Amerikanerin, hängengeblieben in Berlin (seit 1985), ließ in diversen paternosterartigen Gebäuden Dante zwischen Paradies und Inferno vorbeischweben, schickte Alice ins Wunderland zwischen den Etagen und packte Mythen ihres Heimatkontinents – zu Strips vereinfacht – in die engen Kabinen. Aber nicht nur fahrend und im Team ist Lindy Annis ein originäres Ereignis, sondern auch solo. Ihre kurzen Performances sind der schlagende Beweis, daß dieses vielgeschundene Genre doch noch interessant sein kann. Wiederholung ist ihr Prinzip, wie bei einem Song, mit Strophen, Refrain und wechselnden Instrumenten, die das musikalische Thema variieren. Eine strikte, auf einfachste Gesten reduzierte Körpergrammatik ist das Spielkorsett.
„Falling Tea Cups“ nennt Lindy Annis ihre neuesten fünf „short- performances“, die aneinandergereiht sind wie Wortmusik auf einer CD. Aber wer Splittergeräusche, Scherbenhaufen und große Gefühle erwartet, ist hier falsch. Eine Kreislinie auf dem Boden, drei Ghettoblaster, ein Notenständer nebst Mikro – basta. Absolutely minimal. Dazu Annis im Straßengewand, unprätentiös bis zur Halbschuhspitze. Gegeben wird eine sparsame Fuge aus Musikkonserve und Kassettenstimmen, englischen Satzketten und eingedampften Bewegungszeichen. Annis schreitet sprechend die Linie auf und ab, als würde sie auf einem gottverlassenen amerikanischen Highway stehen und sich spielerisch fabulierend die Zeit vertreiben, bis ein Auto stoppt, das sie mitnimmt. Da rattert die Erinnerung und die Phantasie: Es geht um die Berufswünsche der Kindheit, eine Theaterprobe oder womit sich Frauen beschäftigen könnten, bevor sie unerwartet eine Leiche entdecken. Annis erzählt ihre halben Geschichten mit der Coolness einer Nachrichtensprecherin. Minimale Gesten, karge Worte – all diese Petitessen geben in der Kombination plötzlich eine ganze Welt. Die ist nicht böse, aber komische Tretminen lauern überall. Short Stories from America und um die Ecke. Ganz einfach, ganz lapidar und ganz einmalig. Gerd Hartmann
Falling Tea Cups – five short-performances by Lindy Annis, bis 23.6., jeweils Fr. bis So., 21 Uhr, bei Stükke, Hasenheide 54, Kreuzberg
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